Literarische Stimmen von Frauen der Reformationszeit

Gisela Neumeister

Olympia Fulvia Morata (1526-1555), die erste Frau, die an einer deutschen Hochschule lehrte.
Bild Wikipedia

Die Reformation wirkte sich auf das Leben vieler Frauen aus, griff in ihre bisherigen Daseinswelten ein und eröffnete ihnen zum Teil erweiterte Handlungsspielräume.
Möchte man sich heute mit dem Thema „Frauen und Reformation“ beschäftigen, ist auf der Suche nach Informationen, Aufsätzen oder Bücher, so ist die Auswahl fast unüberschaubar. Noch vor 50 Jahren war das ganz anders. Mit Ausnahme von Katharina von Bora oder Katharina Schütz-Zell waren die Frauen dieser Zeit schlicht und einfach wieder mal vergessen worden. Zu sehr standen Luther, andere Reformatoren und die religiösen und politischen Entwicklungen des 16. Jahrhunderts im Vordergrund.
In mehreren Wellen ab den 1970er Jahren, mit Beginn einer allgemeinen intensivierten Frauenforschung, gibt es nun ausreichend Material. Vieles wurde wiederentdeckt, Einzelschicksale näher beleuchtet und der Versuch unternommen, alles in die großen Zusammenhänge zu stellen. Wie war der Status der Frau, was sagten die Reformatoren zu den Frauen, was änderte sich durch Luthers Schriften. Dies immer wieder mit der Frage verbunden, was die Reformation für die Frauen gebracht oder ihr Leben verändert hat.
Es ist ein großes Thema geworden, so dass im Folgenden nur einiges angerissen und vieles ausgelassen werden muss. Die Frauen der Reformatoren und die Fürstinnen, die aufgrund ihrer Stellung Einfluss nahmen oder politisch die reformatorische Bewegung unterstützten, sind aus diesen Gründen ausgelassen worden.
Mit meinen ausgesuchten Beispielen möchte ich versuchen, die Bandbreite dieser Frauengeschichten darzustellen, durch bekannte und eher vielleicht unbekannte Persönlichkeiten. Es sind Frauen, die sich in der Frühzeit der Reformation in Flug- und Streitschriften geäußert haben. Allen ist gemein, dass sie gebildet waren, ihre Überzeugungen kundtun wollten, direkt eingebunden in die religiösen Veränderungen waren und meist sehr gute Bibelkenntnisse hatten.
Mit seinen Hauptschriften von 1520, besonders durch „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, legte Luther die Grundlage für Männer und besonders für Frauen, auch von dieser Freiheit Gebrauch zu machen. Der „Laienstand“ begann sich in religiöse Belange einzumischen, die neuen Lehren zu diskutieren, weiter zu verbreiten. Das geschah insbesondere durch das neue Medium des Buchdruckes in Gestalt von Flugschriften, Überzeugungen konnten einer großen Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Zwischen 1521 und 1525 erreichte diese Plattform einen Höchststand. Und in dieser Zeit haben sich die meisten der Frauen öffentlich geäußert. Sei es zu bestimmten Anlässen, zur Verteidigung der neuen Lehren oder als Kritik dagegen. Das stieß oftmals auf Ablehnung, denn eigentlich war es doch eine Männerdomäne. Weiterhin entwirft Luther durch seine Schrift „Vom ehelichen Leben“ (1522) und seinem „Traubüchlein“ von 1529 ein neues Eheverständnis. Hausfrau und Mutter sein wird das neue Ideal unter der Führung des Mannes. Für Luther ist die Ehe die „erste Ordnung Gottes“. Gleichzeitig wertete er das monastische Leben ab. Ab den 1520er Jahre gibt es eine Heiratswelle unter den Reformatoren, unter ehemaligen Mönchen und Priestern, nur Luther lässt sich noch etwas Zeit.
Luther spricht von der Gleichwertigkeit von Mann und Frau, von der gemeinsamen Aufgabe, Kinder zu bekommen und sie im rechten Glauben zu erziehen, daher ist auch die Bildung der Frau wichtig. Doch sind Luthers Äußerungen zu Frauen oft widersprüchlich wie diese zwei Beispiel zeigen: „Männer haben eine breite Brust und kleine Hüften, darum haben sie auch mehr Verstand, denn die Weiber, welche enge Brüste haben und breite Hüften und Gesäß, da sie sollen daheimbleiben. Im Haus sitzen, haushalten, Kinder tragen und ziehen.“
„Stellt euch vor, es gäbe das weibliche Geschlecht nicht. Das Haus und was zum Haushalt gehört, würde zusammenstürzen, die Staaten und die Gemeinden gingen zugrunde. Die Welt kann also ohne Frauen nicht bestehen, sogar wenn die Männer die Kinder selbst auf die Welt bringen könnten.“
Schon Ende des 15. Jahrhunderts begann in europäischen Gelehrtenkreisen ein Disput über den „Wert der Frau“. Diese Auseinandersetzungen, an der sich anfangs nur Männer und später etliche Frauen beteiligten, werden zusammengefasst unter dem Begriff „Querelle des femmes – der Streit um die Frauen“, die bis ins 17. und 18. Jahrhundert hinein reichen.
Da hören wir viel Lob über die Frau von Erasmus von Rotterdam, über die Förderung von Bildung für sie, aber auch: „Die Bücher trocknen den Weibern das Gehirn aus, und sie haben davon zu wenig“. Der französische Reformator Theodore de Bèze schreibt: „Solange sie auf Erden weile, dem Gatten sie zur Hilfe eile“. Der deutsche Humanist Conrad von Nettesheim hält dagegen die Unterdrückung der Frau für eine Ungerechtigkeit. Die Männer würden nur so handeln, weil sie Angst haben, die Frauen könnten sie geistig überflügeln. Die Humanisten sind auf der Suche nach dem Typ der „Neuen Frau“ als gleichrangige Gefährtin in einer gelehrten Ehe. (siehe Opitz-Belakhal)

Die erste Frau, die ich ihnen vorstellen möchte, entspricht diesem Bild. Sie erfüllt besonders das humanistische Frauen-Ideal der Zeit, sie ist eine „docta poeta“.

Olympia Fulvia Morata, geb. 1526 in Ferrara – gest. 1555 in Heidelberg

„Niemals erfreute das Herz aller Menschen ein und dasselbe,
niemals gab gleichen Sinn Zeus allen Menschen zugleich.
Rossebezähmer war Kastor, im Faustkampf stark Polydeukes
Stammten vom selben Schwan beide Helden doch ab!
Ich, zwar Frau von Geburt, verließ doch die Werke der Frauen:
Körbe und Spulen im Garn, Fäden vom Zettel gespannt.
Mir schenken Freude die blühenden Auen der Musen,
Die Chöre auf dem hohen Parnaß, der sich zweifach erhebt.
Andere Frauen mögen an anderen Dingen sich freuen:
Dies allein bringt mir Ruhm, dies allein ist mein Glück.“
(ca. 1540, von ihr in Griechisch und Latein verfasst, Übersetzung aus: Olympia, S.51)

Beim Lesen dieses Gedichtes wird deutlich, was für Olympia wichtig gewesen ist. Ihre Liebe galt der literarischen Welt der Antike und den alten Sprachen. Es war ihr Lebensprogramm und ungewöhnlich für eine Frau des 16. Jahrhunderts. Mit 15 Jahren hielt sie schon öffentliche Vorlesungen über antike Politiker, Schriftsteller und Philosophen. Sie war ein Wunderkind, wie Sonja Domröse feststellt.
Geboren wurde sie 1526 in Italien, in Ferrara. Ihr Vater war Professor für Rhetorik und Poetik, auch Lehrer am Hof des Herzogs. Er bildete seine Tochter ganz im Sinne des Humanismus aus. Einige Jahre verbachte die Familie in anderen Städten Oberitaliens und dort lernte ihr Vater den Humanisten und Theologen Celio Secundo Curione kennen, der ihn mit der reformatorischen Lehre bekannt machte. Curione blieb ein Leben lang für Olympia ein väterlicher Freund. 1539 kehrte die Familie nach Ferrara zurück. Ihr Vater wurde Erzieher der Söhne von Herzog Ercole II. Als Gesellschafterin der Tochter Anna d‘Este wurde Olympia weiter ausgebildet. Besonders freundschaftlich verbunden war sie mit der calvinistisch gesinnten Herzogin Renata, die Glaubensflüchtlingen Zuflucht und Unterstützung gewährte. Noch herrschte in Ferrara ein religions-liberales Klima, doch das änderte sich in dieser Zeit. Olympias Vater erkrankte und starb 1548. Sie wurde vom Hof ausgeschlossen, die genauen Gründe kennt man nicht. Rückblickend schreibt sie:
„Gott hat sich nämlich in unserem Unglück gnädig gezeigt, ja, ich bin sogar froh, dass mir das alles widerfahren ist; denn wenn ich länger am Hof geblieben wäre, wäre es um mich und mein Heil geschehen gewesen. Niemals nämlich konnte ich, solange ich dort lebte, etwas Hohem und Göttlichem Verehrung entgegenbringen noch die Bücher des Alten und Neuen Testaments lesen. .. diese kurzlebigen, flüchtigen und hinfälligen Dinge (haben) kein so großes Verlangen in mir geweckt, sondern Gott hat in mir die Sehnsucht entzündet, in jenem himmlischen Hause zu wohnen, in dem nur einen einzigen Tag zu verweilen köstlicher ist als tausend Jahre an diesen Fürstenhöfen. Und so habe ich mich ganz theologischen Studien zugewendet.“ (Domröse, S.162)
Um 1550 heiratete sie den deutschen Mediziner Andreas Grundler und da sich für evangelisch Gesinnte das Klima zunehmend verschlechterte, gingen sie nach Deutschland. Ihren Bruder Emilio nahm sie mit, ihre Mutter und Schwestern blieben in Italien.
Grundler erhielt eine Stelle als Stadtarzt in seiner Heimatstadt Schweinfurt. Dort intensivierte sie ihre religiösen Studien, schrieb Bearbeitungen von Psalmen, stand in regem Austausch mit deutschen Humanisten, unterrichtete ihren Bruder und weitere Schüler.
So sprachbegabt wie sie war, das Erlernen des Deutschen fiel ihr sehr schwer, literarisch arbeitete sie weiterhin in Griechisch und Latein.
Es waren unruhige Zeiten, kriegerische Auseinandersetzungen durchzogen das Land, auch die Stadt Schweinfurt wurde Schauplatz und die Eheleute flohen kurz vor der Zerstörung der Stadt. Dadurch hatten sie alles verloren, der Verlust der meisten ihre Schriften war besonders schmerzlich. Die Flucht führte sie über mehrere Stationen nach Heidelberg. Ihrem Mann wurde dort 1554 ein Lehrstuhl für Medizin angeboten.
In der Literatur ist man sich immer noch uneins, ob auch ihr ein Lehrstuhl für Griechisch an der Universität in Aussicht gestellt worden ist. Es wäre schon revolutionär gewesen für diese Zeit. Der Chronist und kurfürstliche Sekretär Hubert Thomas Leodius schreibt: „Beide wurden sie von unserem Fürsten hierher aufgenommen zur Zierde für unsere Universität, er, um sich der Medizin zu widmen, sie, damit sie den Umgang mit griechischen Texten lehre. Dies hat sie bis jetzt hinausgeschoben, da sie von Krankheit befallen ist.“ (Domröse, S.170)
Von dieser erwähnten Krankheit erholte sie sich nicht, die wohl auf die vorangegangenen Strapazen der Flucht zurück zu führen ist. Olympia Fulvia Morata stirbt 1555 mit 29 Jahren. Ein Epitaph befindet sich in der sogenannten Universitätskapelle der Peterskirche in Heidelberg. Ihr Mann und ihr Bruder Emilio starben kurze Zeit später an der Pest.
Eine erste Sammlung ihrer Werke und Briefe gab ihr väterlicher Freund Curione bereits 1558 in Basel heraus. Einer der späteren Sammlungen ist ein Gedenkblatt vorangestellt, dort heißt es: „Der Olympia Fulvia Morata Gruntlera, die einst, von Gestalt ein Weib, an Geist größer als ein Mann, mit einem Herzen, das allein Christus fassen wollte, die ganze Welt verschmähte.“ (Domröse, S. 173)

Als Briefeschreiberin wird sie bezeichnet:
Argula von Grumbach, geb. von Stauff, 1490 – 1554
Argula wurde 1490 in der Nähe von Regensburg geboren, ihre Familie gehörte dem Hochadel an, ein bildungsfreundliches und frommes Elternhaus. Mit 16 Jahren kam sie als Hofdame nach München, zur Herzogin Kunigunde, wo sie mit deren Töchtern unterrichtet wurde. In dieser Zeit starben beide Eltern an der Pest.
1510 heiratete sie Friedrich von Grumbach, einen hohen Beamten in Diensten des bayerischen Herzogs, aus einer einflussreichen Familie in Franken stammend. Sie führten ein gutsituiertes und reges gesellschaftliches Leben, 4 Kinder wurden geboren.
Argula nahm großen Anteil an den Veränderungen der Zeit und der beginnenden reformatorischen Bewegung. Sie hatte Briefkontakt mit vielen Gleichgesinnten, auch mit Spalatin und Luther, sie las alle seine Schriften. Ihr Mann hingegen war daran nicht interessiert. Gerade solche Briefkontakte ergaben ein Netzwerk zur Verbreitung des reformatorischen Gedankengutes und zum Austausch untereinander.
Im Herbst 1523 hörte sie von der Situation des Theologen Arsacius Seehofer, der an der Universität von Ingolstadt in seine Vorlesungen lutherische Auslegungen der Bibel mit eingebracht hatte. Nach dem Religionsmandat des bayerischen Herzogs von 1522 war es verboten, Lehren und Schriften Luthers zu verbreiten und zu diskutieren. Seehofer wurde zum Widerruf gezwungen und in ein Kloster verbannt.
Dieses konkrete Ereignis empörte Argula, denn niemand hatte sich bisher für Seehofer eingesetzt. Sie schrieb einen Brief an die Universität (Johann Eck) und an den Herzog von Bayern, später ebenso an den Rat von Ingolstadt. Und es waren keine Bittschreiben, sondern eher Streitpapiere. Sie mischte sich ein in Politik, kritisierte das Vorgehen der Universität, argumentierte geschickt und mit biblischen Bezügen und Belegen – und das als Frau!
Sie berief sich auf die Heilige Schrift und ihr Gewissen, setzte das Sola-Scriptura- Prinzip und Luthers Lehre vom allgemeinen Priestertum um: Männer und Frauen können öffentlich für ihren Glauben eintreten. Sie forderte die Gelehrten auf, sich mit ihr theologisch auseinanderzusetzten, allerdings bitte auf Deutsch, Latein könne sie nicht.
„Wie eyn Christliche fraw des adels, in Beyern durch iren, in Gotlicher schrift, wolgegründten Sendtbrieffe, die Hohenschul zu Ingoldstat, vmb das sie aynen Evangelischen Jungling, zu widersprechung des wort Gottes betrangt haben, straffet.“
Ihr Schreiben beginnt mit dem Zitat aus Joh. 12, 46 –„Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe.“ Und fährt fort: „Solche Wort, von Gott selbs gerededt, sind mir allezeit vor Augen; denn es werden weder Frauen noch Mann darinnen ausgeschlossen. Aus diesem werde ich gedrungen euch zu schreiben…“ Zum konkreten Fall des Theologen Seehofer schreibt sie: “Zeiget mir, wo es stehet? Ihr hohen Meister, ich finde es an keinem Ort der Bibel, daß Christus noch seine Apostel oder Propheten gekerckert, gebennet noch gemordet haben, oder das Land verboten.“ Sie beendet ihren Brief mit: „Ich habe euch kein Frauengeschwätz geschrieben, sondern das Wort Gottes als Glied der christlichen Kirche.“
Sie sparte nicht mit Kritik an den Missständen in der Kirche, den ungebildeten Pfaffen und den wirtschaftlichen Privilegien der Geistlichkeit. Diese Sendbriefe wurden im September verschickt und schon im Oktober als Flugschriften gedruckt, in Nürnberg, Basel, Augsburg und Straßburg. Das geschah ohne ihr Zutun. Die Schriften stießen bei den Zeitgenossen auf große Resonanz und wurden zu „Verkaufsschlagern“.
Sie schrieb eine weitere Reihe von Flugschriften 1523 und 1524 zur Verteidigung der lutherischen Lehre und veröffentlichte sie unter ihrem Mädchennamen Argula von Stauff.
Darin schreibt sie u.a.: „Auch wenn es dazu kommen sollte, wovor Gott sei, dass Luther widerruft, so soll es mir nichts zu schaffen machen. Ich baue nicht auf sein, mein oder sonst eines Menschen Verstand, sondern allein auf den wahren Felsen Christus selber.“
Die folgenden Zahlen stammen aus dem Buch von Dorothee Kommer „Reformatorische Flugschriften von Frauen“ aus dem Jahr 2013: Ihre insgesamt 8 Flugschriften hatten 29 Auflagen mit ca. 29000 Druckexemplaren. Davon alleine 15 Auflagen ihres Schreibens an die Universität. Bereits 1524 erschien eine Sammelschrift ihrer 5 ersten Flugschriften. Diese Zahlen sind schon fast vergleichbar mit Luthers Veröffentlichungen in diesem Zeitraum. Vielleicht erzielte sie auch deshalb diese große Wirkung, da die Schrift aus der Hand einer Frau kam?
Einige Flugschriften erhielten einen Holzschnitt – eine einfache Frau mit der Bibel in der Hand steht mehreren Gelehrten gegenüber. Der Fehdehandschuh ist ausgezogen.
Sie war Anfeindungen ausgesetzt, aber auf ihre Streitschriften geantwortet hat ihr niemand. Nur ein anonymes Spottgedicht war die einzige Reaktion, dort heißt es am Anfang:
„Frau Argel, arg ist euer Nam, viel ärger, dass ihr ohne Scham, und alle weiblich Zucht vergessen, so frevel seid und so vermessen, dass ihr euren Fürsten und Herren, erst wollt einen neuen Glauben lehren. Und euch daneben untersteht, ein ganze Universität zu strafen und zu schimpfieren mit eurem närrischen Allegieren.“
Der Autor erinnert sie an das Schweigen der Frau in der Kirche, sie solle nicht „mit gottes wortten Stolzieren vnd die Menner leren“ , sondern solle „handarbeiten und wie Magdalena zuhören“ und die Männer ehren „in Furcht, Gehorsam, Zucht und Scham“.
Dem Gedicht entsprechend antwortete sie in Reimform, obwohl sie meinte, dies wäre dem Anlass nicht angemessen und schrieb am Schluss:
„Wan es damit were außgericht / Köndt machen baldt ayn solch gedicht / hab nit vil Poeterey gelesen / auff hoch schulen auch nit gwesen / Doch mich nach ewern sytten gericht / Gleich yetzt gemacht mein erst gedicht…“
1530 traf Argula Martin Luther auf der Veste Coburg und besuchte den Reichstag in Augsburg. Ihr Auftreten hatte für die Familie Folgen, ihr Mann wurde vom Herzog entlassen, man hatte finanzielle Schwierigkeiten. Von ihr erschienen nach 1524 keine Schriften mehr. Nach dem Tod ihres Mannes heiratete sie erneut, einen evangelischen Grafen. Wir wissen noch vom Tod dreier ihrer Kinder und danach scheint sie recht zurückgezogen gelebt zu haben und stirbt 1554.
In der Literatur wird sie als erfolgreichste Flugschriftenautorin bezeichnet und als erste Frau, die öffentlich Partei ergriff für die Reformation. Die Gemeinde Lenting, in der sie lange Zeit lebte, hat ihr 2017 ein Denkmal gesetzt.
(Zitate aus: Kommer, Domröse, Becker-Cantarino)

Marie Dentière, 1490/95 -1561
Im Jahr 2002 erhielt sie eine Würdigung als erste Theologin der französisch-sprachlichen Reformation. Ihr Name wurde dem Reformationsdenkmal in Genf hinzugefügt, als einzige Frau.
Marie Dentière wurde geboren in Tournai im heutigen Belgien, war adeliger Abstammung und trat jung in einen Augustinnerinnen-Konvent ein, in dem sie später Priorin wurde.
Sie kam in Kontakt mit Schriften der Reformation und verließ um 1520 das Kloster. Später ging sie nach Straßburg, heiratete dort 1524 den Prediger und früheren Priester Simon Robert, 1528 verzogen sie in die Schweiz. Nach seinem Tod heiratete sie Antoine Froment, ebenfalls Prediger und Mitarbeiter von Gauillaume Farel. Sie siedelten 1535 nach Genf. Es waren die unruhigen Zeiten des Umbruchs, bevor die Stadt ein Jahr später die unabhängige Republik Genf ausrief und die Reformation einführte.
Ihr Mann war Mit-Akteur der Umgestaltung, und sie unterstützte aktiv das Geschehen.
Überliefert ist, dass sie örtliche Ordensschwestern aufforderte, die Klöster zu verlassen und zu heiraten. In der Chronik der Genfer Klarisse Jeanne de Jussie wird ihr Auftreten wenig schmeichelhaft geschildert:
“In dieser Gesellschaft befand sich eine Nonne, eine Äbtissin, eine falsche hutzelige Teufelszunge, die Ehemann und Kinder hatte, namens Marie Dentière aus der Picardie, die sich in das Predigtamt eindrängte und fromme Leute zum Abfall brachte.“
Austausch und briefliche Kontakte pflegte sie mit verschiedenen Reformatoren. 1536 verfasste sie das Buch „Krieg und Befreiung der Stadt Genf“. Darin schilderte sie die Verhältnisse und Veränderungen der letzten 30 Jahre, von den politischen und religiösen Kämpfen vor der Zeit Calvins. Dieser Bericht erschien allerdings anonym und wurde erst im nachherein ihr zugeschrieben.
1539 veröffentlichte sie, jetzt unter ihren Namen, eine Schrift in Form eines Briefes an die Königin von Navarra „Epistre très utile – Höchst dienliches Schreiben“. Darin enthalten ist der Abschnitt „Verteidigung der Frauen“, in dem sie sich für die aktive Teilnahme der Frauen am Leben in der Gesellschaft und besonders der Kirche einsetzt. In dem Werk stellt sie u.a. das paulinische Schweigegebot für Frauen infrage und fordert das Recht ein, zumindest von Frau zu Frau, das Wort zu ergreifen, denn der Gabe zur Verkündigung der Frohen Botschaft als Gnade Gottes dürfe sich niemand entziehen. „Weil das, was Gott euch gegeben hat, und was er uns Frauen offenbart hat, wir ebenso wenig wie die Männer verbergen und in die Erde begraben dürfen.“
Wert und Wesen der Frau belegt sie mit zahlreichen Beispielen berühmter Frauengestalten aus der Bibel: „Gab es eine größere Predigerin als die Samaritherin, die sich nicht scheute, Jesum und sein Wort zu predigen, sich offen vor aller Welt zu ihm zu bekennen, sobald sie ihn hatte sagen hören, dass wir Gott in Geist und Wort verehren sollen?“ Und in anderem Zusammenhang fragt sie: „Haben wir zwei Evangelien? Eines für Männer, und ein anderes für Frauen?“ Sie fordert die Frauen auf, die Bibel zu lesen und sich aktiv einzumischen. Natürlich sparte sie auch nicht an Polemik gegen die Dogmen der Katholischen Kirche. Diese schon fast feministisch formulierten Feststellungen, die darin ebenfalls enthaltene Kritik an den derzeitigen Kirchenoberen (die Reformatoren Farel und Calvin waren zwischen 1535 – 1541 der Stadt verwiesen worden) und die Tatsache, dass die Schrift von einer Frau verfasst worden war, hatten ein Eingreifen des Genfer Stadtrates zur Folge. Ihre Schriften wurden eingezogen und verbrannt, der Verleger zeitweise inhaftiert.
Nur noch einmal findet sich etwas Schriftliches von ihr, über 20 Jahre später. Sie schreibt ein Vorwort zu einer Predigt von Calvin über die „Schicklichkeit der reformierten Kleidung“.
Das Verhältnis Calvin – Dentière war allerdings nicht das Beste, da sie sich nicht mit der Rolle einer Pfarrfrau begnügte und so weiterhin öffentlich gepredigt haben soll. Calvin bezeichnete sie als „aufsässige Frau“, die „…in allen Kramläden, auf allen Straßen predigt“.
Über ihr weiteres Leben wissen wir wenig. Ihr Mann übernahm eine Pfarrstelle südlich des Genfer Sees und zusammen eröffneten sie ein kleines Pensionat mit einer Bildungsmöglichkeit für junge Mädchen. Sie stirbt 1561.
Eine Rolle als Frau im religiösen Leben im reformierten Genf hatte Marie Dentière erhofft und wurde enttäuscht. Ihre Schriften wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt.
(nach Christina L. Griffiths, Zitate ebenda)

Die Kehrseite der Medaille:
Barbara/Caritas Pirckheimer, 1467 – 1532
Sie war die Tochter des Juristen und Diplomaten Johannes Pirckheimer und seiner Frau Barbara. Die Familie gehörte zur Oberschicht der Patrizier in Nürnberg und besaß eines der größten Handelshäuser der Zeit. Die Kinder, auch die Töchter, erhielten eine sehr gute Ausbildung „im Geiste des Humanismus“. Mit 12 Jahren kam sie zur weiteren Erziehung in die Klosterschule der Klarissen, 4 Jahre später trat sie dem Orden bei und änderte ihren Namen in Caritas.
Früh unterhielt sie regen Kontakt mit vielen Gelehrten, unter anderem mit dem Humanisten und Dichter Konrad Celtis, der 1502 den Briefwechsel mit ihr publizierte. Dadurch wurde sie bekannt und immer wieder gerühmt für ihre Klugheit. Mit 36 Jahren wurde sie Äbtissin.
Die Stadt Nürnberg war 1525 eine der ersten Städte, die per Ratsbeschluss die Reformation einführte. Daraufhin sollten die Klöster aufgelöst werden, aber nicht durch Gewalt, sondern durch Überzeugungsarbeit – wie man es ausdrückte. Die bereits um 1520 einsetzende Kritik am Leben der Frauen im Kloster, stieß bei ihr auf völliges Unverständnis.
In Nürnberg durften fortan keine Mönche mehr in den Frauenklöstern predigen, keine Beichte abnehmen. Sie wurden ersetzt durch evangelische Pfarrer. In ihrem Kloster ignorierten die Nonnen deren Predigten, ein innerer Widerstand begann. Sie entwickelten eigene Rituale, läuteten trotz Verbotes die Glocken zum Stundengebet. Caritas schrieb viele Bittgesuche an den Nürnberger Rat, das Kloster nicht aufzulösen und ihnen ihre Lebensweise weiterhin zu gestatten. Dies geschah immer in Absprache mit ihren Mitschwestern, von denen keine das Kloster verlassen wollte. Es kam vermehrt zu Auflagen und sogar zu Übergriffen. Eltern wollten ihre Töchter gewaltsam aus dem Kloster holen. In weiteren Beschlüssen des Rates wurde u.a. vorgeschrieben, dass die Schwestern weltliche Kleidung tragen und die Äbtissin sie von ihren Gelübden entbinden sollte.
Über diese Vorgänge sind wir nicht nur über ihre zahlreichen Schreiben an den Rat informiert, sondern Caritas verfasste zwischen 1524 – 1528 eine „Denkschrift“, eine interne Chronik der Ereignisse. Darin berichtet sie über den Alltag der Nonnen und über die beginnenden Repressalien. Zur Veröffentlichung war das nicht gedacht, für uns heute ein Zeitdokument. Die Chronik ist handschriftlich erhalten und wird als eine der ersten deutschen autobiographischen Schriften bezeichnet.
Durch die Vermittlung ihres Bruders Willibald fand ein Gespräch zwischen ihr und Philipp Melanchthon statt, sie berichtet: “Er war bescheidener mit seiner Rede wie ich noch keinen lutherischen gehört habe… Er schied mit guter Freundschaft von uns.“ Es war ein verständnisvolles Gespräch, auf Augenhöhe, allein in der Frage des Gelübdes, für sie unauflösbar, da man Gott gegebene Versprechen halten müsse, standen sie auf verschiedenen Seiten. (nach Domröse S.111)
Melanchthon setzte sich aber beim Rat der Stadt für den Erhalt des Klosters ein und hatte begrenzten Erfolg. Allerdings durften keine neuen Nonnen mehr aufgenommen werden, auch die geistliche Betreuung durch Priester blieb verwehrt.
Caritas starb 1532. Bis 1596 blieb das Kloster bestehen.
Bei diesem Treffen, in ihren Briefen und in der Denkschrift berief sie sich stets auf die freie Entscheidung ihres Gewissens, dass sie zum Maßstab ihres Handels und Denkens machte. Zur „Freiheit eines Christenmenschen“ gehörte für sie auch, im Kloster bleiben zu dürfen. Sie empfand ihr Leben dort als Freiraum. Dazu Anne Conrad:
„Dem Argument der Reformatoren, die das Kloster als Gefängnis brandmarken, aus dem die Klosterinsassen zu befreien seien, und die die Ordensgelübde angesichts der christlichen Freiheit als nichtig ansahen, begegnet sie mit dem Verweis auf Freiheit im doppelten Sinn: Zum einen sei für Frauen im Kloster mehr Freiheit als in der Ehe gegeben, zum anderen sei es eine Sache der Freiheit des Gewissens, sich für eine bestimmte Lebensform zu entscheiden.“
Ihre Schriften geben einen persönlichen Einblick in ein Frauenleben im Kloster, einer Alternative zum bürgerlichen Leben. Sie zeigen die Problematik auf, die für diese Frauen mit der Auflösung ihrer Lebensgestaltung verbunden war.

Elisabeth Cruciger, geb. von Meseritz, um 1504 – 1535
Ihr Leben ist nur punktuell nachvollziehbar, doch erhalten ist von ihr das Lied „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“. Heute noch im Evangelischen Gesangbuch zu finden, als Melodie verwendete sie ein ihr bekanntes Marienlied, später komponierte Johann Sebastian Bach dazu eine Kantate.

Herr Christ, der einig Gotts Sohn
Vaters in Ewigkeit,
aus seim Herzen entsprossen,
gleichwie geschrieben steht,
er ist der Morgensterne,
sein Glänzen streckt er ferne
vor andern Sternen klar;
für uns ein Mensch geboren
im letzten Teil der Zeit,
daß wir nicht wärn verloren
vor Gott in Ewigkeit,
den Tod für uns zerbrochen,
den Himmel aufgeschlossen,
das Leben wiederbracht:

Ihr Geburtsdatum und Ort sind nicht genau überliefert. Wohl um 1504 kam sie im östlichen Pommern zur Welt. Ihre Familie gehörte zum niederen Adel, sie kam in ein Kloster in der Nähe von Treptow, vielleicht als Versorgungsstätte. Hier erhielt sie eine gute Ausbildung, sie war theologisch gebildet und früh soll sich ihr musikalisches Talent, ihre Liebe zur Musik gezeigt haben.
Johannes Bugenhagen, später ein enger Freund und Mitarbeiter Luthers und der als Begründer des lutherischen Kirchenwesens in Norddeutschland und Dänemark gilt, war zwischen 1504 und ca. 1520 der Rektor der Stadtschule in Treptow, damals schon bekannt für seine Bibelauslegungen. Er kam zum Unterricht in ihr Kloster und brachte die Ideen der reformatorischen Anfänge mit. Dadurch fühlte sie sich angesprochen und das beeinflusste ihr weiteres Leben. Mit 18 Jahren verließ sie das Kloster und ging nach Wittenberg. Dort fand sie Aufnahme in der Familie von Bugenhagen, der Stadtpfarrer geworden war und an der Universität lehrte. Hier lernte sie den Theologen Caspar Cruciger kennen, Freund und persönlicher Schreiber von Luther. Er selbst traut das Paar 1524.
Schon im gleichen Jahr schrieb Elizabeth das Lied, das von ihren Bibelkenntnissen zeugt und ein gefühlvolles Glaubensbekenntnis ist. Sie gilt somit als erste Lieddichterin der Evangelischen Kirche. Vielleicht hat sie noch weitere geschrieben, doch nur dieses ist erhalten geblieben. Das mag daran liegen, dass es durch Luther in eines der ersten Wittenberger Gesangbücher aufgenommen wurde, allerdings zunächst ohne sie als Autorin zu nennen. In einigen Briefen zwischen Luther, Cruciger und anderen Reformatoren und den Tischreden von Luther wird sie erwähnt, so z.B. in einem Einladungsbrief zu ihrer Hochzeit. Bugenhagen, der die Hochzeit ausrichtete, schrieb an Georg Spalatin, mit der Bitte, doch etwas Wildbrett zur Ausrichtung der Feier zu schicken. Man erfährt weiterhin daraus, dass die Wittenberger Reformatorenfrauen sich freundschaftlich verbunden waren, Katharina und Elisabeth tauschten Geschenke aus. Elisabeths Tochter heiratete später in zweiter Ehe den Sohn Hans des Ehepaares Luther. Weitere Einzelheiten gibt es nicht. Cruciger selbst ist voller Trauer, als sie schon früh 1535 stirbt.
Was bleibt ist ihr Lied. „Singet dem Herrn ein neues Lied“ so Luther, Bildung und der gemeinsame Gesang im Gottesdienst sind bei ihm wichtige Elemente der Vermittlung von Glaubensinhalten. Dazu hat Elisabeth Cruciger schon sehr früh beigetragen.

Die Auswahl der vorgestellten Frauen sollte die Möglichkeiten und die konkreten Anlässe aufzeigen, wie sie sich gerade in der Frühzeit der Reformation ausdrücken konnten. Einzelne wurden einer breiten Öffentlichkeit bekannt und wurden gehört, manche nur auf begrenzt lokaler Ebene. Sie durchbrachen für eine kurze Zeit ihr festgelegtes Rollenbild und alle hatten sich für ihre Lebenswelt mehr erhofft. Aber die Frauen waren erst am Anfang „sich auszudrücken“. Die Festlegung der Ehe als Ideal wertet sie zwar in gewissem Rahmen auf, führte aber gleichzeitig zu einer Stagnation. Der neu entstandene „Beruf“ der Pfarrfrau könnte dabei als eine Ausnahme angesehen werden. Die Frauen der Reformatoren waren nicht nur zuhause „aktiv“, sondern hatten in ihrem direkten Umfeld die Möglichkeit, theologisch und auf sozialer Ebene mitzuwirken, als Beispiel sei auf Katharina Zell in Straßburg hingewiesen. Für das Leben von Frauen jenseits vom Ehestand, für andere Lebenswege, bot die Reformation keine Alternativen, keine Lösungen an. Durch die Auflösung von Klöstern war vorerst ein „Freiraum“ für Frauen verloren gegangen, besonders in Bezug auf Bildung. Wie so oft gibt es die zwei Seiten der Medaille. Es ist ein umfangreiches und sehr interessantes Thema und es gibt noch viele besondere Frauen aus dieser Zeit zu entdecken.

Literaturangaben:
-Becker-Cantarino, Barbara: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frauen und Literatur von 1500 bis 1800. München 1989.
-Brinker-Gabler, Gisela (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Bd.1. München 1988.
-Domröse, Sonja: Frauen der Reformationszeit. 4., erweiterte Auflage. Göttingen 2017.
-Gender- und Gleichstellungsstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland (Hg.): Reformatorinnen seit 1517 (Ausstellungskatalog). Düsseldorf 2017.
-Giselbrecht, Rebecca A./ Scheuter, Sabine (Hg.): „Hör nicht auf zu singen“ Zeuginnen der Schweizer Reformation. Zürich 2016.
-Olympia Fulvia Morata. Stationen ihres Lebens: Ferrara-Schweinfurt-Heidelberg. Katalog zur Ausstellung im Universitätsmuseum Heidelberg 26. März – 8. Mai 1998. Ubstadt-Weiher.
-Opitz-Belakhal, Claudia: Streit um die Frauen und andere Studien zur frühneuzeitlichen „Querelle des femmes“. Roßdorf bei Darmstadt 2020.
-Schattkowsky, Martina (Hg.): Frauen und Reformation. Leipzig 2016.
-www.frauen-und-reformation.de (große Sammlung zum Thema von 1500-2000, dort zu finden: Griffiths, Christina L.: Marie Dentière. „Vor aller Welt das Wort verkünden“.)