Ambivalenzen des Grobianismus im 16. Jahrhundert
von Volker Gallé
Beitrag anlässlich der Luther-Festspiele 2021
In einer Rede, die Thomas Mann am 29. Mai 1945 in der Forschungsbibliothek des US-Kongresses zum Thema „Deutschland und die Deutschen“ in englischer Sprache gehalten hat und deren deutsche Übersetzung im Oktober des gleichen Jahres in der Zeitschrift „Die neue Rundschau“ veröffentlicht wurde, wird Martin Luther als „riesenhafte Inkarnation deutschen Wesens“ präsentiert. „Und das spezifisch Lutherische“ sei „das Cholerisch-Grobianische, das Schimpfen, Speien und Wüten, das fürchterlich Robuste, verbunden mit zarter Gemütstiefe und dem massivsten Aberglauben an Dämonen.“ (Kaufmann, S. 239/240) Dieses Bild hat sich bis heute gehalten, wenn beispielsweise Hanns Langbein in der Zeitschrift „Kunst und Kirche“ fragt, ob Luther „Feingeist oder Grobian“ gewesen sei. Im gleichen Jahr ist ein Artikel in der Rhein-Neckar-Zeitung über einen Luthervortrag der Göttinger Germanistin Anja Lobenstein-Reichmann betitelt mit der Frage „War Luther Sprachgenie oder Grobian?“ Es hat sich seit 1945 insofern etwas geändert, als die Dämonen offenbar keine Rolle mehr in der Lutherwahrnehmung der Gegenwart spielen und der Grobian eher als unangenehme Seite in die zweite Reihe gerückt wird. Immerhin freut es mich, dass wir nicht aus Ambivalenzen und Mehrdeutigkeiten herauskommen. Das macht ein Thema schließlich überhaupt erst bemerkens- und bedenkenswert. Aber was steckt alles dahinter?
Barbaren – Germanen – Deutsche
Fremd- und Selbstbilder von menschlichen Kollektiven steuern den Identitätsdiskurs auf der ganzen Welt. In Europa ist dieser Diskurs seit der griechischen Antike durch den Barbarenbegriff geprägt. In schriftlichen Quellen findet er sich erstmals in Homers Ilias aus dem 8. Jh. v. Chr. (II, Vers 867). Dort heißt es: „Nastes führte die Karen, ein Volk barbarischer Mundart, welches Miletos umwohnt.“ Die Karer werden als Verbündete Trojas geschildert und als nicht-griechisch sprechende Bevölkerung. Ihr von Homer beschriebenes Hoheitsgebiet lag in der heutigen Südwesttürkei.
Das Wort „barbaros“ soll lautmalend eine unverständliche Sprache vermitteln, die durch eine Häufung des Lauts „br“ für Griechen rau klingt und als stammeln oder stottern empfunden wurde. Fremdsprachigkeit und die Betonung und Deutung von besonders auffälligen Merkmalen, ist bis heute ein Kennzeichen für als fremd empfundene Kulturen, Sprache überhaupt ist konstitutiv für kollektive Identitäten in Fremd- wie Selbstbildern.
Im 5. Jh. v. Chr. festigt sich bei Herodot das Selbstbild der Griechen als Hellenen. Nach seiner Definition sind Hellenen gleichen Blutes (homaimos), gleicher Sprache (homoglossos) und verehren die gleichen Götter (homotropa).
Nach diesen Kriterien werden Menschen als Hellenen oder Barbaren eingestuft.
Wenn jemand. Es ist eine Zweiteilung der Welt in eigene und fremde Kultur.
Die Perserkriege hatten im so genannten Hellenenbund zu einem Bündnis der griechischen Stadtstaaten geführt, das nach der Abwehr der Perser nach wenigen Jahrzehnten wieder zerfiel und zu Kriegen zwischen den Stadtstaaten führte. Der mit dem biologischen Bild der Blutsverwandtschaft von der Familie auf einen politischen Bündnisraum übertragene Identitätsbegriff war schon damals politische Propaganda, jedenfalls mehr als die Kulturverwandtschaft von Sprache und Religion.
Die Idee der Zweiteilung wurde immer weitergesponnen und ausdifferenziert. Das Apollonheiligtum in Delphi kannte einen Kultstein mit dem Namen „Omphalos“ (Nabel) und markierte den Mittelpunkt der griechischen Welt. Von der Mitte aus gedacht ist auch der griechische Windmythos mit dem Westwind Zephyros (Frühling), dem Südwind Notos (Sommer), dem Ostwind Euros (Herbst) und dem kalten Nordwind Boreas (Winter). Im 4. Jahrhundert verbindet Aristoteles in seiner Klimatheorie die Himmelsrichtungen mit den Charakteren der jeweils dort lebenden Völker: „Die Völker der kalten Regionen und jene in Europa sind von tapferem Charakter, stehen aber in Intelligenz und in Kunstfertigkeit zurück; also sind sie vorzugsweise frei, aber ohne staatliche Organisation und ohne über Menschen herrschen zu können. Die Völker Asiens dagegen sind intelligent und künstlerisch begabt, aber kraftlos, und leben deshalb als Untertanen und knechtisch. Das griechische Volk wohnt gewissermaßen in der Mitte zwischen beiden und hat deshalb an beiden Charakteren Anteil, denn es ist energisch und intelligent.“ (von See, S. 38) Diese Theorie der Mitte ist zwar eine Dominanztheorie, aber auch eine der Steigerung durch Mischung, die Beobachtungen des Fremden ins Selbstbild einbezieht. Früh gibt es aber auch die Vorstellung von Höherentwicklung. Das Barbarische wird dann zu einer Vorstufe, die dem Tier nah ist. Hier beginnen dann bereits im 4. Jh. v. Chr. die Ambivalenzen, wenn die Kyniker die Natur zum Ideal eines ursprünglichen Lebens wird.
Die frühe Neuzeit
Für die Urteile über die Germanen wird die um 100 n. Chr. entstandene „Germania“ des Tacitus von Bedeutung. Die Schrift wurde allerdings vergessen und erst im 15. Jahrhundert wiederentdeckt. Die deutschen Humanisten wie Wimpfeling, Celtis und von Hutten nutzten sie zur Begründung eines Deutschenbildes mit dem Schwerpunkt der Libertas, der Freiheit. Diese Freiheit war bei Tacitus ambivalent und blieb es im europäischen Diskurs seit der frühen Neuzeit. Ganz wie bei Aristoteles bedeutete diese zum Kontinuum erklärte kollektive Eigenschaft von Germanen und Deutschen, dass sie sich nicht beherrschen ließen, aber dass sie auch nicht zu herrschen in der Lage waren und dass sie sich nicht beherrschen konnten. Freiheit konnte also ebenso Mut zur Selbstbehauptung bedeuten wie Zügellosigkeit in politischer und persönlicher Hinsicht. Freiheit konnte als edel bewundert, aber auch als roh und wild abgelehnt werden. Der Norden aus Sicht des Mittelmeers konnte sowohl als Vorbild republikanischer Tugend wie als barbarischer Schrecken, als „furor teutonicus“ verstanden und mit Erfahrungen belegt werden. Die mildere Form dessen war die der Zivilisationskritik, die härtere Form die des kriegerischen Feindbildes.
All diese narrativen Begriffswelten mit ihren Varianten und Ambivalenzen stand dem 16. Jahrhundert in Europa als Arsenal zur Verfügung. Dass Libertas/Freiheit ein wesentlicher Bestandteil der frühen Nationenbildung im deutschsprachigen Raum war zeigt sich auch in der Reformation, beispielsweise an Luthers Frühschrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“
Die relevanten Fremdbilder für die Deutschen wurden zu diesem Zeitpunkt in Frankreich und Italien erzählt. Es entstand der Topos vom Gegensatz des Romanischen und des Germanischen.
Berücksichtigen muss man dabei die Konstellation der damals bedeutenden drei Machtzentren in Europa, des Papstes in Rom, des Habsburgerreiches mit der Kaiserkrone und des französischen Königs, konkret zur Zeit Luthers die Päpste Leo X. und Clemens VII., Kaiser Karl V. Und König Franz I. Im römischen Reich deutscher Nationen gab es seitens der Territorialfürsten sowohl antirömische Tendenzen als auch Bestrebungen, die Macht des Kaisers einzuhegen.
Deutschlandbilder in Frankreich – Mittelalter und frühe Neuzeit
In einer Dissertation von 1910 hat Karl-Ludwig Zimmermann das Deutschlandbild in der französischen Literatur des Mittelalters untersucht und festgestellt, man habe sie überwiegend als Bündnispartner gesehen und ihren „Kampfesmut, ihre Kühnheit und Ausdauer hervorgehoben, ferner ihre Treue und ihre Schönheit (Größe und blondes Haar).“ (Zimmermann, S. 241 Anmerkungen) Tacitus spielte zu dieser Zeit noch keine Rolle. Man orientierte sich an den Sichtweisen des noch nicht geteilten Karolingerreiches. Negative Urteile habe es gegenüber Sachsen, Friesen und Vandalen als Gegnern in kriegerischen Auseinandersetzungen gegeben. Es hieß in einem Sprichwort, „faire une querelle d’Allemand“ für „einen Streit vom Zaun brechen wie ein Deutscher“. Diese Beobachtung hält auch Montaigne Ende des 16. Jahrhunderts im Nachgang zu einer Bäderreise fest, die ihn auch in den deutschen Südwesten, nach Bayern und in die Schweiz führte. Er spricht von deutscher Freiheit (Liberté) und meint „La Liberté de se quereller, pour un rien. Se quereller a l’Allemande“, die Freiheit, sich wegen nichts zu zanken. Sich auf deutsche Art zu zanken.“ (Leiner, S. 33) Streitsucht und Jähzorn als Charaktereigenschaften erinnern an Volkers jähen Streit mit einem Hunnen im Nibelungenlied. Zimmermann weiter: „In späterer Zeit (auch in der Zeit um 1500, der Verf.) werden auch die deutschen Umgangsformen gerügt: Tölpelhaftigkeit, Einfalt, Unsauberkeit, Trunksucht und Sittenlosigkeit. Die deutsche Sprache gilt als rauer Kauderwelsch. Die Streitigkeiten der deutschen Fürsten mit dem Papst trugen dem deutschen Reich, dem Kaiser (bes. Maximilian) und den Fürsten ebenfalls abfällige Äußerungen ein.“ (nach: Leiner, S. 241/242) Die höfische Kultur in Deutschland orientierte sich im Mittelalter an französischen Vorbildern. Die fremde Sprache als Kauderwelsch ist ein generelles Merkmal des Barbarentopos. Im Zentrum der ambivalenten Beschreibungen steht aber stets der Freiheitsbegriff, mal positiv, mal negativ konnotiert, eben die Freiheit, sich nicht beherrschen zu lassen, aber auch sich selbst nicht beherrschen zu können mit dem Ergebnis, nicht herrschen zu können im Sinn von politischer Ordnung und Vormacht. Insgesamt beruht das französische Deutschlandbild des 16. Jahrhunderts trotz der Anleihen aus dem Begriffsfundus der Antike stärker auf den aktuellen politischen Erfahrungen und Konstellationen des 15. und 16. Jahrhunderts.
Deutschlandbilder in Italien
Die Romanistin Vittoria Borsò hat das Grundmuster, „mit dem sich Italiener die Deutschen vorstellen“ (Borsò, S. 207) 2003 als „imaginäre Topographie“ beschrieben, „die auf der Opposition zwischen dem kalten, wilden, unzivilisierten Norden im Verhältnis zur amoenitas des lateinischen Südens basiert.“ (ebenda, S. 208) Die Alpen „erscheinen den italienischen Völkern“ des Mittelmeerraums „als natürliche Barriere, die die Kultur der Antike vom Raum der Barbaren trennt.“ (ebenda, S. 208) Dazu gehört die „Vorstellung ihrer kulturellen Überlegenheit trotz politischen Machtverlusts.“ (ebenda, S. 208) Die Deutschen sind identisch mit den Barbaren, die das römische Imperium in der spät antike zu Fall bringen, aber gleichzeitig auch die „romanisierten und christianisierten, militärisch und verwaltungstechnisch mächtige Ordnung“, die ein „Gegengewicht gegen die Macht der Päpste“ darstellt. Die italienischen Stadtstaaten des Mittelalters und der frühen Neuzeit gingen wechselnde Bündnisse mit dem Papst, dem römisch-deutschen Kaiser sowie dem französischen König ein.
Das den Deutschen zugeschriebene „martialische Wesen“ rühre von traumatischen Erfahrungen her wie der Zerstörung Mailands im Jahr 1162 durch die Truppen des Staufers Barbarossa sowie der Plünderung Roms durch deutsche, spanische und italienische Söldnertruppen Karls V. im Mai 1527, als „Sacco di Roma“ bekannt. Zu Beginn der Renaissance formuliert der Dichter und Geschichtsschreiber Francesco Petrarca Mitte des 14. Jh. den neuzeitlichen Gegensatz von Latinität und Barbarei des Nordens in der Canzone „Ai Signori d’Italia“ mit Verweis auf Lukans Begriff des „furor teutonicus“, der sich auf die kriegerischen Auseinandersetzungen der Römer mit den Kimbern und Teutonen zwischen 113 und 101 v. Chr, bezieht. Andrerseits gibt es Reiseberichte Petrarcas, die rheinische Städte wie Köln sehr positiv darstellen.
Luthers und Rom
Auf dem Hintergrund von Reformdebatten innerhalb der Augustiner-Eremiten wurde Luther im November 1510 zu Gesprächen mit dem Ordensgeneral nach Rom geschickt. Im Januar 1511 fanden diese Gespräche statt. Während seines Aufenthalts bemühte er sich „mit Wallfahrt, Fasten, Bußübungen und Lesen von Messen alles angebotene Heil zu erwerben.“ (Schilling, S. 107) Er tat alles das, was er später an der kirchlichen Frömmigkeit kritisierte. Für die aufstrebende Renaissancestadt, ihr Alltagsleben und ihren Bauboom interessierte er sich nicht. Es gibt keine zeitnahen Selbstzeugnisse zu seinem Aufenthalt. Spätere Urteile von Rom als Babylon in Briefen und Tischreden atmen bereits den Geist der polemischen Auseinandersetzungen zwischen Luther und dem Papsttum nach dem Thesenanschlag von 1517.
Die päpstliche Seite übernahm gegenüber Luther die vorhandenen Topoi des Barbarenbildes. Der Neuzeithistoriker Volker Reinhardt von der Uni Fribourg schreibt 2016 in seinem Buch „Luther der Ketzer“: „Für Rom und das Papsttum war Luther der hässliche Deutsche schlechthin: trunksüchtig, jähzornig, ungebildet, von Hochmut gebläht, ein Liebhaber der Fäkalsprache, der sich durch seine irrsinnigen Angriffe gegen die segensreiche Führung der Kirche durch die Päpste bei den Mächtigen Deutschlands lieb Kind machen und so Ruhm und Reichtum erwerben wollte.“ (Reinhardt, S. 10) Von Ambivalenz keine Rede, Feindbilder und Propaganda auf beiden Seiten. Ob Luther oder Karl V., für Rom waren und blieben die Deutschen Barbaren.
Ein polemisches Jahrhundert
Die mündliche Erzähltradition des mittelalterlichen Schwanks entwickelt sich in der Literatur des 16. Jahrhunderts in die Ambivalenz des Grobianismus. Es entstehen in der Folge von Sebastian Brants Narrenschiff von 1494, der die Figur des Sankt Grobian eingeführt hat, zum einen ein Narrengenre, das fehlende Tischsitten satirisch thematisiert und damit einen Zivilisierungsauftrag erfüllen will. Kai Bremer stellt 2008 in „Literatur der Frühen Neuzeit“ fest: „Das wiederum erzeugt parodistischen Widerstand. Der Grobian des 16. Jahrhunderts wurde zu einer Gegen-Figur von Brants Narren. Mit dem Grobian fand die Fäkalsprache Eingang in die deutsche Literatur. Auch wurde zum Grobianismus geradezu aufgefordert…Der Leser verbündet, ja solidarisiert sich für die Zeit der Lektüre mit Grobian. Das Lachen über sein Verhalten setzt jedoch das Wissen über die Verhaltensformen voraus, so dass gleichzeitig eine Distanznahme zu diesem absonderlichen Helden eintritt.“ (Bremer, S.89/90) Der vom Wormser Humanisten Kaspar Scheidt 1551 ins Deutsche übersetzte lateinische „Grobianus“ von Friedrich Dedekind erlebt zahlreiche Neuauflagen im Laufe des 16. Jahrhunderts. Er gibt dem Lesepublikum sowohl die Möglichkeit, den eigenen Grobianismus zu genießen als auch sich von ihm zu distanzieren. Es ist ein gebildetes Publikum, das sich in den Städten über kommunale Schulgründungen immer mehr in die bürgerliche Gesellschaft erweitert und dafür das volkssprachliche Material nutzt und literarisiert.
Durch die technische Möglichkeit, im Buchdruck Flugschriften in relativ hoher Auflage herzustellen, erweitern sich Diskursmöglichkeiten. Kürze und Bebilderung spitzen die jeweiligen Botschaften zu und polarisieren den Meinungsmarkt. Es beginnt ein durch und durch polemisches Jahrhundert, dem sich die Politik nicht mehr oder nur noch durch Gewaltmaßnahmen gewachsen zeigt.
Die frühen Massenmedien verzeichnen „im Streit zwischen lutherischen und altkirchlichen Kontrahenten einen explosionsartigen Zuwachs.“ (Krauß, S.7) Von Luther sind über 200 Flugschriften im Umfang von bis zu sechs Seiten bekannt. Um 1550 umfassen sie ein Fünftel der Gesamtauflage dieses Genres. Das Gros der Flugschriften ist volkssprachlich. Von Umfang und Art sind sie geeignet, auch im öffentlichen Raum, z.B. auf Märkten leseunkundigem Publikum vorgelesen zu werden. Luthers antirömische Flugschriften haben bereits im 15. Jh. Vorläufer wie die „reformatio Sigismundi“ im Jahr 1439. Mit Blick auf das Konstanzer Konzil und die Hinrichtung von Hus schreibt Luther 1545 in der Schrift “Wider das Bapsttum zu Rom, vom Teufel gestifft“: „Diese drey wort: Frey, Christlich, Deutsch, sind dem Bapst und Römischem hofe nichts denn eitel gifft, tod, teuffel, und die helle, er kann sie nicht leiden, weder sehen noch hören…Des ist dis die ursach: Anno 1415. Jar ist in Deutschen Landen ein Concilium…gehalten, darinnen Johannes Hus…gemardert.“ (Krauß, S. 107) Luther hat nicht nur seine altkirchlichen Gegner verspottet, sondern auch seine Gegner innerhalb der Reformation wie Karlstadt, Franck, Müntzer und Zwingli sowie Erasmus, seinen Kontrahenten in der Debatte um den freien Willen. An dieser Stelle aber sollen die Polemiken Luthers und Roms einander gegenübergestellt werden. So nennt Luther den Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg u.a. „unser böser Wurm zu Halle“, Henker und Stadtschreiber, Scheißbischof und einen höllischen Kardinal. Seinen Debattengegner Johann Eck nennt er „Doktor Sau, porcus Ingolstadtiensis (ingolstädtisches Schwein) sowie einen Schlemmerei und Demmer. Papst Julius II. Nennt er einen Blutsäufer und Eisenfresser, Papst Leo X. „teuffels Apostell und Endchrist“, Papst Clemens VII. einen Erzbösewicht und Papst Paul III. „Euer Höllischkeit“. Die römische Seite wiederum nennt Luther „eine zu verurteilende Sau, ein wildgewordenes Eberschwein, einen falschen schwarzen Kater, einen Judas und einen Narren, den Minotaurus von Wittenberg, den fleischgewordenen Teufel, einen Seelenmörder und arianischen Wiedehopf. Man kann sich vorstellen, wie das jeweilige Publikum beim Vorlesen auf Märkten gejohlt hat. Die Bildsatire steht der Wortpolemik in diesem Streit in nichts nach. Während in der Wittenberger Cranachwerkstatt 1523 der Holzschnitt „Der Bapstesel zu Rom“ entsteht, entwirft Erhard Schön um 1530 in einem kolorierten Holzschnitt Luther als des Teufels Sackpfeifer.
Im Februar 1521 berichtet der päpstliche Gesandte Aleander in einem Brief an Eck über die heftigen Angriffe der Lutheraner gegen ihn und nennt die deutschen Fürsten und Stände, die das päpstliche Bannverfahren behinderten, „Schweinepriester“. Ganz im Stil der Inquisition fordert er: „Die Häretiker sollen mit eisernem Besen und mit Feuer gezüchtigt werden, wo sie sich widerborstig verhalten; nicht nur sie selbst sündigen, sondern sie reißen andere Unglückliche mit sich in den Abgrund der Vernichtung. So sollen sie an ihren Leib den Tod erleiden, damit ihre Seele gerettet wird.“ (www.ivv7srv15.uni-muenster.de/mnkg/pfnuer/Eckbriefe/N137.html) Das ist die grobianische Gewalt autoritärer Herrschaft im väterlichen Ton wohlwollender Züchtigung zum Tode, römischer Humanismus eben. Luther dagegen versteht sich als grobianischer Autor, der mit Worten in den Krieg zieht: „Ich bin dazu geboren, das ich mit den rotten und teuffeln mus kriegen und zu felde ligen, darumb meiner bücher viel stürmisch und kriegerisch sind. Ich mus die klötze und stemme ausrotten, dornen und hecken weghawen, die pfützen ausfüllen und bin der grobe waldrechter (Holzfäller), der die ban brechen und zurichten mus.“ (Krauß, S.155) Das „Läuten mit der Sauglocke“, so nennt Egon Friedell in seiner zwischen 1927 und 1931 erschienenen „Kulturgeschichte der Neuzeit“ den Stil des polemischen 16. Jahrhunderts, war „ zeitgemäß und bei fast allen Schriftstellern gang und gäbe.“ (Krauß, S. 158)
Die Sprache des Volkes
Die Idee des Volks als Souverän hat erst um 1800 begonnen, sich in Europa durchzusetzen. Älter und nach wie vor wirksam sind die Ideen des Volks als Ethnie und des Volks im Gegensatz zu Eliten. Das Deutsche hat da eine besondere Geschichte. Zum kommt das Wort von ahd. diutisk (zum Volk gehörig) und bezeichnete früh die aus dem Germanischen entwickelte Sprache der Bevölkerung im ehemals ostfränkischen Raum, die nicht nur anders war als die aus dem Romanischen entwickelte Sprache der Bevölkerung im ehemals westfränkischen und italienischen Raum, sondern auch anders als das Latein als europäische Verkehrssprache der Bildungseliten. Insofern konnte die Volkssprache in Deutschland immer auch als Sprache des dritten Standes verstanden werden und nicht von ungefähr orientierte sich im römisch-deutschen Reich die mittelalterliche Kirche lateinisch und der mittelalterliche Adel an französischen Vorbildern.
Das 16. Jahrhundert verschiebt die sprachlichen Gewichte. Vor allem über den Buchdruck und mehr noch über die Flugschriften setzt sich die Volkssprache durch. Den Beigeschmack des Barbarischen wird sie dabei sowohl in Fremd- wie in Selbstbildern nicht los, auch wenn sie weiter literarisiert, also im situativen Gebrauch erweitert wird und auch in ihren basalen Formen begrifflich wie emotional vielfältig ist, wenn auch vielleicht in anderen Bereichen als im Umgang der Eliten. Im Übrigen gab es immer auch eine grobianische Variante lateinischer wie romanischer Literaturen, wenn man an die römischen Satiren von Lucillus oder Seneca denkt oder an die altfranzössichen Fatrasien.
Für Luthers volkssprachliche Offensive gilt also – ungeachtet seines Bildes als Grobian in der Rezeption und seiner bewussten Polemik – eine sprachliche Vielfalt, die durch zahlreiche Wortneuschöpfungen sogar noch gesteigert ist.
Häufig wird für den Grobianismus Luthers und seiner deutschen Sprache sein „Sendbrief vom Dolmetschen“ aus dem Jahr 1530 zitiert, in dem es heiße, man müsse dem Volk aufs Maul schauen. Wie so oft in der Lutherrezeption, ist das eine Verkürzung des Originalzitats. Im Original heißt es mit Blick auf eine gute Übersetzung in die deutsche Sprache: „man mus die mutter ihm hause/die kinder auff der gassen/den gemeinen ma auf dem markt drumb fragen/un den selbige auff das maul sehen/wie sie reden/und darnach dolmetschen/so verstehen sie es den/un merken/das man Deutsch mit in redet.“ (ww.zeno.org/Literatur/M/Luther+Martin/Traktate/Ein+Sendbrief+vom+Dolmetschen) Es geht also in erster Linie um Verständigung und nicht um Grobheit, wiewohl Luther – das zeigen andere Stellen in seiner Übersetzung – der Unterschied zwischen Maul und Mund bewusst war. Im Sinne seiner Übersetzungstheorie stehen daher auch andere, heute als poetisch empfundene Wort und Wortbilder, die sich durchgesetzt haben: sein Licht leuchten lassen, Stein des Anstoßes, Morgenland, friedfertig, gastfrei, mit Engelszungen reden. Im Überblick nutzt er sowohl poetische wie polemische Metaphern. Allerdings ist auch bei diesem Urteil Vorsicht geboten, so beim Herzbegriff des 16. Jahrhunderts. Aus der Übersetzung des Lukasevangeliums (6,45) ist das Sprichwort entstanden: „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ Seit dem 18. Jahrhundert steht im deutschen Sprachraum der Herzbegriff für Gefühl, und so wird auch das Fließende als Gegensatz zur Reflexion des Denkens verstanden. Nach der stark biblisch geprägten Anthropologie des 16. Jahrhunderts wird das Herz aber „als geistiges Erkenntnisorgan des Menschen“ verstanden, als „das innerste, äußerem Zugriff entzogene und nur gott einsichtige Zentrum seiner Persönlichkeit“, so Birgit Stolt in ihrem Buch „Martin Luthers Rhetorik des Herzens“ von 2000 (Stolt, S. 50) Das Herz ist das Organ der Verständigung und umfasst die persönliche Seite von Geist, Verstand, Gefühl, Wille, Urteilsvermögen und Gedächtnis. „Heute liegt das Missverständnis nahe, biblische Ausdrücke mit „Herz“ zu sentimentalisieren oder zu poetisieren. Beides liegt fern von Luthers Vorstellungswelt. Er wäre nie auf den Gedanken gekommen, Gefühl und Verstand gegeneinander auszuspielen.“ (Stolt, S. 51) Das bedeutet auch, dass die sprachliche Alterität des 16. Jahrhunderts nahelegt, dass manches, was heute als ambivalent und mehrdeutig empfunden wird, als zusammengehörig verstanden werden muss. Differenzierungen bestehen eher im Gegensatz von Tradition und Person als von Gefühl und Verstand. Die Person sieht sich als Individuum durch Gott und sein Wort erleuchtet und verteidigt sich heftig gegen Übergriffe institutionalisierter Tradition.
Die vom Papst bei seinem Hoftheologen Silvestro Mazzolini genannt Prierias in Auftrag gegebene „Respositio“ auf Luthers Thesen, so Volker Reinhardt, nehme Luther nicht ernst, „sondern belehrt ihn wie ein unwissendes Kind.“ Er stelle die päpstliche Autorität in Frage, weil er die kirchliche Lehre nicht kenne. Luther ist ein Ketzer und ein Barbar zugleich, mithin aus römischer Sicht ungebildet. Luther kennt diese Angriffe und wehrt sich dagegen, so in seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“: „Sie sind Doktores? Ich auch! Sie sind gelehrt? Ich auch! Sie sind Prediger? Ich auch! Sie sind Theologen? Ich auch! Sie sind Disputatoren? Ich auch! Sie sind Philosophen? Ich auch! Sie sind Dialektiker? Ich auch! …Sie schreiben Bücher? Ich auch!…Ich rede jetzt nicht zu viel, denn ich bin durch ihre Kunst alle erzogen und erfahren von Jugend auf.“ (www.hessler-uebersetzungen.de/wp-content/uploads/pdf/Luthers Sendbrief vom Dolmetschen.pdf). Im Katalog der Wartburgausstellung zu Flugschriften der Lutherzeit schreibt Jutta Krauß, Luther habe die „hohe Kunst der Rhetorik“ beherrscht. Das zeige sich beispielsweise an seinem Schlagabtausch mit dem Theologen und Bibelübersetzer Hieronymus Emser. Beide argumentieren mit Metaphern des Begriffs „Wortgefecht“. Krauß schriebt: „Luther verstand es demnach, die Argumente des Widersachers mit bewundernswerter Geschicklichkeit und Ironie gegen selbigen auszunutzen, und das auch ohne grob und ausfällig zu werden.“ (Krauß, S. 158)
Dass Luther die poetische Sprache beherrschte, zeigen seine Liederdichtungen, angefangen vom weihnachtlichen Kinderlied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ über „Aus tiefster Not schrei ich zu Dir“, „Ein feste Burg ist unser Gott“, und „Verleih uns Frieden gnädiglich“ bis zu „Die beste Zeit im Jahr ist mein“:
Die beste Zeit im Jahr ist mein
Da singen alle Vögelein
Himmel und Erde ist der voll
Viel gut Gesang der lautet wohl
Voran die liebe Nachtigall
Macht alles fröhlich überall
Mit ihrem lieblichen Gesang
Des muß sie haben immer Dank
Viel mehr der liebe Herre Gott,
Der sie also geschaffen hat
Zu sein die rechte Sängerin,
Der Musica ein Meisterin
Dem singt und springt sie Tag und Nacht
Sein´s Lobes sie nicht müde macht
Den ehrt und lobt auch mein Gesang
Und sagt ihm ein ewigen Dank.
Luther war allerdings auch ein Hassredner. So forderte er 1543 in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“, in der sich die bekannten antijüdischen Lügengeschichten von Brunnenvergiftung bis Kindsraub und -zerstückelung finden „ihre Synagogen niederzubrennen, ihre Häuser zu zerstören und sie wie Zigeuner in Ställen und Scheunen wohnen zu lassen, ihnen ihre Gebetbücher und Talmudim wegzunehmen, die ohnehin nur Abgötterei lehrten, ihren Rabbinern das Lehren bei Androhung der Todesstrafe zu verbieten, ihren Händlern das freie Geleit und Wegerecht zu entziehen, ihnen das „Wuchern“ (Geldgeschäft) zu verbieten, all ihr Bargeld und ihren Schmuck einzuziehen und zu verwahren, den jungen kräftigen Juden Werkzeuge für körperliche Arbeit zu geben und sie ihr Brot verdienen zu lassen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luther_und_die_Juden, abgerufen am 2.8.2021) Das waren nicht nur Grobheiten, sondern gezielte Hassreden mit konkreten Handlungsanleitungen für den Staat.
Zivilisation und Affektkontrolle
1939 erschien das Hauptwerk von Norbert Elias „Über den Prozeß der Zivilisation“ in der Schweiz. Da wirkte der Autor bereits im Londoner Exil. Um gesellschaftliche Veränderungen in der Alltagspraxis der europäischen Kultur zu beschreiben, hatte er Benimmbücher vom 13. bis 18. Jahrhundert ausgewertet. Diese Anstandslehren nahmen ihren Ausgang in der höfischen Oberschicht des Mittelalters. Es ging darum, die Affekte Einzelner sozial zu kontrollieren, um Herrschaft ausüben zu können durch rituelle Inszenierungen. Ende des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhundert fanden solche Lehren im deutschen Sprachraum in Form der Narren- und Grobianiusliteratur eine breite Öffentlichkeit, richteten sich auch an den dritten Stand, vor allem an Stadtbürger. Hintergrund war die Ausdifferenzierung der Öffentlichkeit, vor allem im römisch-deutschen Reich: Kirche und Staat nahmen stärkeren Abstand voneinander, die römische Kirche musste verketzerte Reformationsbewegungen als eigenständige Konfessionen hinnehmen, das Bildungswesen wurde stärker volkssprachlich, die Territorialherren gewannen an politischem Einfluss gegenüber dem Monarchen. Man könnte sagen: Die mittelalterliche Ständegesellschaft begann, außer Kontrolle zu geraten. Die polemischen Debatten und ihre Reichweiten sind dafür ebenso ein Indiz wie die Zunahme an Autobiografien, Tagebüchern, Briefwechseln und Portraitgemälden. Das Indviduum forderte zunehmend Rechte ein. Es gab neuen Regelungsbedarf zwischen den zunehmend Verschiedenen. Richard van Dülmen schreibt 1997 in „Die Entdeckung des Individuum“: „Sicherlich wurde der mittelalterliche Kollektivismus nicht so gehandhabt, wie die Theorie, das christliche Selbstverständnis der Zeit es bestimmte, aber Arbeit zum eigenen Gewinn war, wie individuelles Handeln überhaupt, nicht das angestrebte Ideal…Eine erste Änderung des Habitus vollzog sich im 15./16.Jahrhundert unter der beginnenden weltlichen Begründung des Staates und der Entsakralisierung der Gesellschaft. Sie führten zwar nicht zu einer individualisierten Weltsicht, aber der neue, aus reformatorischen und territorialstaatlichen Quellen gespeiste Kollektivismus schuf einige entscheidende Grundlagen hierfür. Im staatlichen Bereich vollzog sich eine Emanzipation von kirchlicher Vorherrschaft…Der Staat wie auch das Recht begannen sich als bewußte Schöpfungen der Vernunft zu begreifen.“ (van Dülmen, S. 126)
Damit wurde aber auch ein Appell an den Einzelnen möglich, sich für richtiges oder falsches Verhalten zu entscheiden. Die Narren- und Grobianusliteratur führte beispielhaft vor, wie man es nicht machen sollte. Das tat sie allerdings mit so viel Engagement und Detailreichtum, dass das Lesepublikum nicht nur erkennen konnte, dass es all das offensichtlich gab, sondern auch seine mehr oder weniger stille Freude darin finden konnte.
Grobianismus als deutsches Charaktermerkmal
Obwohl es sich sowohl beim Thema Zivilisierung als auch bei der Ausdifferenzierung der Ständegesellschaft um ein europäisches Phänomen handelt und auch das literarische Narrenmotiv durch alle Sprachkulturen wanderte, blieb der grobianische Charakter doch dauerhaft an Fremd- und Selbstbild des Deutschen haften. Nochmal Thomas Mann zum Lutherisch-Deutschen: „Das Deutsche in Reinkultur, das Separatistisch-Antirömische, Anti-Europäische befremdet und ängstigt mich, auch wenn es als evangelische Freiheit und geistliche Emanzipation erscheint.“ (Kaufmann, S. 239) Das war 1945, noch im amerikanischen Exil, nach den Erfahrungen mit den Verbrechen der NS-Diktatur, der sich auch große Teile des Nationalprotestantismus geöffnet hatten. Vom dominierenden preußischen Militärstaat seit den 1860er Jahren bis dahin geht mit einer kurzen demokratischen Pause der Weimarer Republik eine völkisch-nationale Linie deutscher Selbsterzählung, die einen in der Tat ängstigen kann. Aber es gibt eben auch eine demokratische Linie, in der z.B. Redner des Hambacher Festes von 1832 wie Johann Georg August Wirth die schon von Montesquieu diagnostizierte deutsche Freiheit republikanisch verstanden und mit Luthers Kulturimpuls verbunden haben. Dieser Mann des 16. Jahrhunderts war eine ambivalente Figur, in seiner Zeit wie in der Rezeption, und ist es bis heute geblieben. All diese Beurteilungen geschahen und geschehen auf dem Hintergrund der Differenz zwischen dem, was als romanisch und als germanisch beeinflusste Kultur wahrgenommen wird. So schrieb der polnische Lyriker Adam Zagajewski in den 1990er Jahren in seinen Erinnerungsbildern, Europa bestehe „aus dem lateinischen Süden und dem barbarischen Norden.“ (Zagajewski, S. 193) Und da wäre sie dann auch wieder, die antike Klimatheorie mit der Variante der Zweiteilung in eigene und fremde Kultur.
Das Lob von Ambivalenz und Mehrdeutigkeit, das sich mit gutem Recht derzeit in der Kulturwissenschaft ausbreitet und Anerkennung und Anwendung im öffentlichen und privaten Diskurs fordert, findet seine Grenze da, wo Hassrede und Hetze zur Gewalt auffordern und keinen Raum für Gegenreden lassen wollen. Polemik dagegen ist Teil einer demokratischen Debattenkultur, wenn sie denn in reinen Wortgefechten Positionen zuspitzt, und sich nicht selbst verliebt als Weisheit letzter Schluss versteht, sondern besser als provokanter Türöffner für nachdenklichere Räume. Der in social media gehäufte affirmative, also lediglich das Eigene bestätigende Meinungsverkürzung, fehlt leider allzu oft – ähnlich den Flugblättern und Flugschriften des 16. Jahrhunderts – das Dialogische, der Disput, das in die Augen sehen und die Entschleunigung ins tiefere Wasser der Verunsicherung. Auch das hat es im 16. Jahrhundert gegeben, leider in der Rezeption allzu oft unbemerkt, weil größere Anstrengung im Verstehen erfordernd. Übersetzen ist da eine gute Übung, das Verstehen fremder Sprachen. Dazu gehört nicht nur das Sprechen , sondern auch das Zuhören, ein Wechselspiel eben.
Und Lachen wird dann besonders wertvoll, wenn es kein Auslachen ist, sondern Selbstironie oder gar Humor, der bekanntlich trotzdem lacht, also auch dann, wenn es gar nichts zu lachen gibt und Schmerz überwunden sein will.
Literaturen
Manfred Bechtel, War Luther Sprachgenie oder Grobian?, in: Rhein-Neckar-Zeitung vom 30.5.2017
Vittoria Borsò, Italien, in: Klaus Stierstorfer (Hrsg.), Deutschlandbilder. Im Spiegel anderer Nationen, Reinbek, 2003, S. 207-228
Kai Bremer, Literatur der frühen Neuzeit, Paderborn, 2008
Richard van Dülmen, Die Entdeckung des Individuums, Frankfurt, 1997
Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation, Band 1 und Band 2, Frankfurt, 4. Auflage, 1977
Hartmut Günther, Mit Feuereifer und Herzenslust – Wie Luther unsere Sprache prägte, Berlin, 2017
Thomas Kaufmann (Hrsg.), Luther und die Deutschen, Stuttgart, 2017
Jutta Krauß, Hilmar Schwarz, Beiträge in: Beyssig sein ist nutz und not – Flugschriften zur Lutherzeit, Eisenach, 2010
Hanns Langbein, Vorwort, in: Kunst und Kirche, Marburg, 2/2017
Wolfgang Leiner, Das Deutschlandbild in der französischen Literatur, Darmstadt, 1991
Heinz-Günther Nesselrath, Fremde Kulturen in griechischen Augen –
Herodot und die ‘Barbaren’, in: Gymnasium 116, 2009, S. 307-330
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