Denkanstöße zu einem unwiderstehlichen Klischee
Dr. Regina Urbach
Angeregt vom Königinnenstreit im Nibelungenlied und durch die Präsentation unserer Nibelungenliedgesellschaft „Herrscherinnen am Rhein“ der Jahre 2020 und 2021, wird hier ein historischer „Kaiserinnenstreit“ genauer unter die Lupe genommen, zwischen den deutschen Kaiserinnen Adelheid und Theophanou im zehnten Jahrhundert.
Kaiser Otto I. war mit einer der eindrucksvollsten Kaiserinnenpersönlichkeiten des Mittelalters verheiratet: Adelheid von Burgund. Ihre Machtbasis in Italien trug zum Erfolg von Ottos Griff nach der Kaiserkrone bei. Adelheid taucht in zahlreichen Urkunden an der Seite Ottos I. als Mitregentin beziehungsweise Teilhaberin der Herrschaft- consors regni– auf. Es gelang den Ottonen, eine byzantinische Braut an den Hof zu holen: Theophanou, die Braut für Otto II. Diese Frau hinterließ- ebenso wie ihre Schwiegermutter Adelheid, einen tiefen Eindruck im Abendland. Zwei Alfa-Kaiserinnen an einem Kaiserhof. Das konnte ja nicht gutgehen. Oder etwa doch?
Für den angeblichen Kaiserinnenstreit werden die Ereignisse ab der Hochzeit von Otto II. mit Theophanou im Jahre 972 wichtig. Schon 973 starb Otto der Große; sein Sohn Otto II. und Theophanou übernahmen die Herrschaft. Adelheid blieb noch bis 975 am Hof. 980 wurde Otto III. als Thronfolger geboren. Für die Zeit 973 bis 983 wird in vielen Darstellungen ein angeblicher „Kleinkrieg“ zwischen den Kaiserinnen vermutet. Otto II. verstarb 983. Für den dreijährigen, zum König gesalbten Otto III. übernahmen seine Mutter Theophanou und seine Großmutter Adelheid gemeinsam die Regentschaft. Nach dem Tode Theophanous im Jahr 991 verblieb Adelheid als alleinige Regentin bis zur Krönung Ottos III. im Jahr 996. Adelheid verstarb 999, Otto 1002.
Abt Odilo von Cluny begann schon ein Jahr nach Adelheids Tod mit ihrer Heiligenlegende, doch überarbeitete er diese noch einmal wesentlich später. Bischof Thietmar von Merseburg schrieb seine Chronik etwa 40 Jahre nach dem „Kaiserinnenstreit“. Die seit 1008 kontinuierlich berichtenden Annales Quedlinburgenses gehen auf die entscheidenden Jahre leider wenig ein. Die Zeit ließ also einigen Spielraum für ein nachträgliches Narrativ.
Schlägt man publizistische Darstellungen zum Verhältnis der Kaiserinnen auf, stößt man gerade in älteren Werken auf eine Wortwahl, die über eine dürre Sachlichkeit hinausgeht. Nach dem frühen Tod Ottos II. im Jahre 983 gelang es Adelheid und Theophanou, sich gegen die Opposition einflussreicher Fürsten als Regentinnen für den erst dreijährigen Otto III. durchzusetzen. Exemplarisch für das Geschichtsbild vom Schwiegermutterkampf der Kaiserinnen beziehe ich mich auf die Darstellung von Gustav Faber von 1983, „Der Traum vom Reich im Süden. Die Ottonen und Salier“ erschienen bei Bertelsmann und in vielen bildungsbürgerlichen Haushalten vertreten. Nach dem Geschichtsstudium betätigte sich Faber als freier Schriftsteller und hatte bereits gut verkaufte Werke über Merowinger, Karolinger und die Normannen veröffentlicht.
Über die beiden Kaiserinnen schreibt Faber (S. 137): „Schon das Generationsproblem trennte sie, dann auch die unterschiedliche Herkunft. …Schließlich aber musste Adelheid der Jüngeren, der Fremdländischen Platz machen.“ Über Theophanou fasst Faber zusammen: „obwohl man sie eitel fand, ihr Griechisch nicht verstand und sie nicht für einwandfrei purpurgeboren hielt, respektierte man sie.“ An anderer Stelle schreibt Faber: Theophanou „obwohl teilweise armenischer Abstammung, besaß als griechisches Erbteil einen ausgeprägten Sinn für Maß und Wirklichkeit.“ Die damals um die 40 Jahre alte Adelheid genießt bei Faber wenig Sympathie. Er schreibt: Adelheid, die „ein Matronenalter erreichte und später … in maßloser Bigotterie zu ihrem vermeintlichen Seelenheil Königsgut an die Kirche verschleuderte“(S. 138). Schließlich interpretiert Faber die Volljährigkeit und Amtsübernahme durch den jungen Otto III. im Jahr 996: „Er empfand es nun als lästig, dass die 64-jährige Großmutter ihn weiterhin gängeln wollte“ (S. 145). Laut Faber war für die beiden Damen einvernehmliches Handeln eher die Ausnahme. Er formuliert es so: „Nachdem sie sich kurzfristig verbündet hatten, machte sich bald wieder die alte Rivalität …bemerkbar“ (S. 141). Dem Publikum der Achtzigerjahre stieß dies offenbar nicht weiter auf.
Doch was, wenn der angebliche Kleinkrieg sich auch ganz anders gewichten und vor allem mit Hilfe von machtpolitischen Hintergründen ausleuchten ließe?
2008 erschien bei Beck ein ebenfalls allgemeinverständliches, doch wissenschaftliches Werk von dem Heidelberger Mediävisten Stefan Weinfurter: „Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500“. Das Leben der beiden Kaiserinnen wird darin kurz gestreift. Bei Weinfurter klingt der Zwist folgendermaßen: „Seinerzeit war [Theophanou] mit ihrer Schwiegermutter Adelheid in einen heftigen Konflikt um die Vorrangstellung in der Hofgesellschaft geraten. Die junge Griechin setzte sich durch. Die etwa 40-jährige Adelheid musste weichen und sich nach Pavia zurückziehen-. Seither wurde zwischen beiden fast zehn Jahre lang ein ständiger Kleinkrieg ausgetragen. Aber gegen Ende des Jahres 983 änderte sich die Lage schlagartig. Theophanou (in Rom) … nahm Kontakt zu ihrer Schwiegermutter auf und eilte noch um die Weihnachtszeit zu ihr nach Pavia. Dort schmiedeten sie eine Koalition der kaiserlichen Frauen. In den folgenden Monaten gingen sie klug und diplomatisch vor“ (S. 75).
Auch hier erscheint der Schwerpunkt des Verhältnisses der beiden Kaiserinnen bei ihrem „ständigen Kleinkrieg“ zu liegen. Ein Bündnis ist erst durch die Notlage nach dem Tod Ottos II. geboten. Dass die beiden Frauen klug und diplomatisch vorgingen, scheint eher etwas Besonderes zu sein. Nach der Beilegung der Fürstenopposition befindet Weinfurter: „Die kaiserlichen Frauen waren zufrieden. Durch ihre Sorge, so das Urteil der Annalen von Quedlinburg, seien das Reich und der junge König in Sicherheit gebracht worden“ (S. 76).
Dabei kam es in der mittelalterlichen Geschichte nicht sehr häufig vor, dass sich eine Kaiserinwitwe gegen männliche Fürsten als Regentin durchsetzen konnte. Dass sich hier mehrere Frauen aus der kaiserlichen Familie zusammentaten, könnte man durchaus in spektakuläreren Worten ausdrücken. In der knappen Darstellung wird nicht nachvollziehbar erläutert, worum es bei dem zehnjährigen „Kleinkrieg“ der Frauen eigentlich ging.
Quellen
a) Annales Quedlinburgenses
Historiker werden natürlich stark von ihren Quellen beeinflusst. Suchen wir also Spuren des Kaiserinnenstreits in den Primärquellen. Wichtig sind hierfür die Annalen von Quedlinburg, in der Quellensammlung Monumenta Germaniae Historica veröffentlicht. Entstanden ist diese Chronik im Frauenstift Quedlinburg, das der ottonischen Herrscherfamilie nahestand: Schon Ottos I. Mutter Mathilde stand dem Stift 30 Jahre lang vor, später seine Schwester Gerberga und hernach seine Tochter Mathilde. Das Stift war ein geistiges Zentrum des Reichs und Treffpunkt für Hof und Familie. Die Motivation für die Abfassung der Chronik stellte dar, eine Erfolgsgeschichte des Christentums festzuhalten. Die Quedlinburger Annalen (wir vergessen dabei nicht, dass Adelheids Tochter Mathilde hier Äbtissin war) fokussieren die Erzählung von der Unterwerfung der Fürstenopposition nach dem Tode Ottos II. und der Durchsetzung der Zwei-Kaiserinnen-Regentschaft auf Adelheid. Adelheid, Theophanou und an ihrer Seite auch die Äbtissin Mathilde werden als gemeinsam starke Frauen ins Licht gerückt. Doch für die Jahre vor dem Tod Ottos II., 972 bis 983, in denen sich der angebliche „Kleinkrieg“ der Kaiserinnen abgespielt haben soll, klaffen in der Chronik Lücken.
b) Thietmar von Merseburg, (* 25. Juli975)
Diese Lücken lassen sich teils mithilfe der Chronik des Thietmar von Merseburg schließen. Thietmar entstammte einer Adelsfamilie und wurde erst mit 29 Jahren Priester, dann aber bereits fünf Jahre später Bischof von Merseburg. Seine Chronik schrieb er als Bischof zwischen 1012 und 1018. Zu diesem Zeitpunkt lag der Beginn der Differenzen zwischen Theophanou und Adelheid mindestens 40 Jahre zurück. Im Jahr 975 geboren, kann Thietmar noch kein Zeuge für etwaige Auseinandersetzungen bei Hofe gewesen sein. Thietmars Motiv, eine Chronik abzufassen, ist, das fromme Andenken der Ottonenfamilie zu wahren, noch mehr als das weltliche. Ethische Beurteilungen spielen in seiner Chronik also eine prominente Rolle. Autor Thietmar war nur fünf Jahre älter als der spätere Kaiser Otto III. Er könnte also Mitglieder der kaiserlichen Familie persönlich gekannt haben. Sicher ist, dass Thietmar Zugriff auf Originalurkunden hatte. Für die früheren Jahre seiner Chronik stützt er sich auf die Sachsenchronik des Widukind von Corvey.
Lauschen wir Thietmars Urteil über Theophanou:
„Wohl war sie von schwachem Geschlecht, doch besaß sie Maß und Vertrauenswürdigkeit und, was in Griechenland selten ist, einen ausgezeichneten Umgang. Auf diese Weise bewahrte sie mit männlicher Wachsamkeit die Königsherrschaft ihres Sohnes, in allem freundlich gegenüber Rechtschaffenen und in furchtgebietender Überlegenheit gegenüber Aufsässigen.“
Thietmar ringt förmlich um Ausgewogenheit. Aus heutiger Sicht erscheint es jedoch bemerkenswert, dass Eigenschaften wie Besonnenheit und Souveränität als „männlich“ bezeichnet werden.
c) Odilo von Clunys Epitaphium
Kommen wir zu einer weit weniger ausgewogenen Quelle. Im Auftrag von Adelheid verfasste der Abt Odilo von Cluny die Vita der Kaiserin als eine Art Heiligenlegende. Um dies vorwegzunehmen: Viele negative Urteile über Theophanou haben hier ihren Ursprung. Auch der „Königinnenstreit“ ist vermutlich Odilos literarische Leistung. Vieles stellt er personalisiert in emotionalen Konflikten dar. Alle genannten Chroniken wurden nach dem Tode der beiden Protagonistinnen verfasst.
Historischer Hintergrund
Was kann man mittlerweile über mögliche tatsächliche Ursachen von Spannungen zwischen den Kaiserinnen sagen? Die Heirat Ottos II. mit Theophanou bedeutete eine Stärkung des ottonischen Kaisertums, an der auch Adelheid gelegen war. Allein die Existenz der byzantinischen Schwiegertochter stellte also auch aus Adelheids Sicht etwas Positives dar. Nach dem Tode ihres Gemahls Otto I. blieb Adelheid noch etwa zwei Jahre lang am Hof präsent, bevor sie sich nach Italien begab. Es wurde darauf hingewiesen, dass dieser Verbleib außergewöhnlich lang war. So hatte sich etwas Ottos I. Mutter Mathilde sofort nach dem Tod ihres Gemahls zurückgezogen. Andere Herrscherwitwen begaben sich unmittelbar in ein Kloster. Adelheid hingegen regierte aktiv weiter – von ihrer Hausmacht Pavia aus. Die Abreise dahin erscheint bei Odilo als Bruch mit Sohn und Schwiegertochter. Um Adelheid und ihren kaiserlichen Sohn ethisch integer darzustellen, bot sich aus Odilos Sicht ein Sündenbock für die Verstimmung an. Odilo spricht zunächst nur von namenlosen „Urhebern von Zwietracht“.
Der Hintergrund der Differenzen zwischen Otto und seiner Mutter war eine neue Bündnispolitik des jungen Kaiserpaars innerhalb der ottonischen Großfamilie. Adelheid stützte sich mehr auf den bayerischen Familienzweig, Otto und Theophanou nun auch auf die Halbgeschwister Ottos II., die Kinder aus der ersten Ehe Ottos des Großen. Im Jahr 980 söhnte sich Otto II. jedoch wieder mit seiner Mutter aus, von Odilo dargestellt als demütiges Bitten um mütterliche Verzeihung.
Ein weiteres Konfliktfeld lag bei Adelheids Unabhängigkeit vom jungen Kaiserpaar. Sie war es gewohnt, nach Gutdünken über ihre Liegenschaften zu verfügen. Von ihrer Herrschaft über Burgund und Pavia war sie königliche Handlungsfreiheit gewohnt. Vieles von ihrem Besitz vermachte sie Klöstern – für ihr Seelenheil, wie es im Mittelalter hieß. Doch damit verringerte sich das Königsgut, das die junge Regentin Theophanou unbedingt zusammenhalten wollte.
Theophanou übernahm die Regierungsgeschäfte nördlich der Alpen und östlich des Rheins und verschaffte sich Respekt im Gebiet der sächsischen Hausmacht der Ottonen. Dass sie byzantinische Interessen vertreten habe, kann man schwerlich unterstellen. Auch ihr oberstes Interesse galt der Sicherung des Kaisertums für ihren Sohn. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Ausdehnung des ottonischen Reiches und seiner bis nach Paris reichenden Familienpolitik kaum noch handhabbar war. Die Rechnung dafür mussten die beiden Kaiserinnen bezahlen, und sie begegneten dieser Aufgabe mit einer Arbeitsteilung.
Wie fest die beiden Regentinnen ihre Beziehungen ausgebaut hatten, um die Kaiserherrschaft zu sichern, wird auch daran sichtbar, dass Otto III. 996 von einem Papst aus der „Familie“ zum Kaiser gekrönt wurde: Gregor V., dem ersten „deutschen“ Papst, an der Wormser Domschule ausgebildet. Als das Ziel der gemeinsamen Regentschaft erreicht und Otto III. zum Kaiser gekrönt wurde, lebte nur noch seine Großmutter. Seine Mutter Theophanou war bereits tot.
Beruht das Narrativ vom Königinnenstreit also auf einer reinen Erfindung? Im Verhältnis der Kaiserinnen gäbe es also genügend Anhaltspunkte für eine arbeitsteilige, erfolgreiche Zusammenarbeit, also für ein positives Narrativ. Lediglich auf eine einzige Quelle, diejenige des Klosterabts Odilo, geht das Interpretationsschema vom Kleinkrieg zwischen den Kaiserinnen zurück. Theophanou habe laut Odilo geäußert: „Wenn ich noch ein Jahr lebe, wird Adelheid auf der ganzen Welt über nicht mehr gebieten, als man mit einer Hand umspannen kann.“ Dass Theophanou ein Jahr später selbst tot war, ist für Odilo eine Strafe Gottes für ihre Hoffahrt. Odilo hat Adelheid immerhin in ihren letzten Jahren noch persönlich kennengelernt und könnte dies aus ihrer Erzählung so erfahren haben. Odilos Ziel, Adelheids Leben zur Heiligenlegende zu stilisieren, führt jedoch von einer ausgewogenen Darstellung weg: Adelheid erscheint stets als moralisch überlegen, geduldig, verzeihend.
Dieser Einseitigkeit steht ein völlig umgekehrtes Urteil aus dem 20. Jahrhundert beim erwähnten Autor Faber entgegen. Aus der heiligen Adelheid wird die bigotte Matrone. Beides sind Stereotype. Ob die 64-Jährige „kaiserlichste aller Kaiserinnen“ (Odilo) und „mater regnorum“ („Mutter der Königreiche“), die fast 50 Jahre lang halb Europa regierte, dem 16-jährigen Enkel wirklich „lästig“ gewesen sein kann, in Fabers Worten? Zu dieser Sichtweise passt auch nicht die Dankesurkunde Ottos III. an Adelheid für ihren Beitrag zu seiner Kaiserkrönung.
Positivere, ausgewogene Würdigung
Otto III. konnte auf der gemeinsamen Leistung von Mutter und Großmutter und auch der Äbtissin Mathilde aufbauen. In der Sammelpublikation „Die Kaiserinnen des Mittelalters“ von 2011, herausgegeben von der Mediävistin Amalie Fößel, liegt der Fokus eher auf der Kooperation der beiden Kaiserinnen. Fößel würdigt, wie Adelheid auch der Mitregentschaft nach ihr folgender Königinnen und Kaiserinnen den Weg geebnet hat. Sie war es, die dafür ihre urkundlich belegte Intervention bei Stiftungen und Gunsterweisen zur Institution werden ließ. Damit geht Adelheids politische Bedeutung für alle späteren Kaiserinnen über ihre eigene Machtfülle hinaus. In erster Linie kam dies ihrer Schwiegertochter Theophanou zugute, die ja als „Fremde“ erst einmal einen schwierigeren Stand hatte. Theophanou setzte mit ihrem Wissen um mächtige byzantinische Kaiserinnen noch einmal eine Portion Stärke darauf. Laut Fößel haben beide Kaiserinnen dem Status der Kaiserin im Abendland eine größere Bedeutung verliehen.
Ein solches Narrativ empfinden wir heute als „zeitgemäßer“, nicht wahr? Hier kann exemplarisch gezeigt werden, wie Geschichtsdarstellung von subjektiven Faktoren beeinflusst wird. Was fasziniert dann Historiker und Autoren so am Königinnenstreit, so dass sich dieser geradezu als Topos in so manche Deutungsversuche einschleicht?
Schillers Drama „Maria Stuart“
Nicht zu unterschätzen ist bei diesem Sujet der literarische Meilenstein, den Schillers Drama „Maria Stuart“ gesetzt hat. Uraufgeführt wurde es im Jahre 1800, noch unter dem Eindruck der Hinrichtung der französischen Königin Marie Antoinette. Inhalt sind die letzten Tage vor der Hinrichtung der abgesetzten schottischen Königin Maria Stuart auf Veranlassung der englischen Königin Elizabeth Tudor, ihrer Großkusine. Bekanntlich wandte sich Maria Stuart an Elisabeth um Hilfe, weil sie hoffte, ihren Thron in Schottland zurück zu erobern. Stattdessen wurde sie von Elisabeth als Sicherheitsrisiko und Rivalin um den englischen Thron eingeschätzt und 19 Jahre lang in Haft gehalten. 1587 schließlich rang sich Elisabeth dazu durch, Maria hinrichten zu lassen. Der Stoff enthält bereits viel „naturgegebene“ Tragik, wie Schiller begeistert vermerkte. In seinem Drama verlieh Schiller der politischen Auseinandersetzung zwischen zwei Königinnen zusätzliche Schärfe über eine Rivalität als Frauen. Bei Schiller lässt sich die sonst besonnene Elisabeth hinreißen zum Hinrichtungsbefehl. Ausgelöst wird dieser Impuls durch die persönliche Begegnung, der Elisabeth jahrelang aus dem Weg gegangen war. Und bei dieser Begegnung, für die es historisch keinen Beleg gibt, putzt die „sündige“ Maria die puritanische Jungfrau Elisabeth moralisch herunter.
Wir haben es hier mit einem Königinnenstreit ganz anderer Motive zu tun als bei Adelheid und Theophanou. Schiller modelliert Maria als erotisches „Heißblut“ und Elisabeth als angeblich enthaltsame, sich „männlich“ gebende Herrscherin. Dieser künstliche Gegensatz setzt voraus, dass weibliche Identität für die Fähigkeit, besonnen zu regieren, eine Belastung darstellt. Nach Schiller kann Königin Elisabeth nicht richtig Frau sein. Auf der anderen Seite verliert Königin Maria durch ihr Frausein, das heißt durch ihre Liebesheiraten, ihr Königtum. Letztlich wird beiden Königinnen also ihr Geschlecht, ihr Frausein zum Verhängnis. Die Königin wird im patriarchalischen Streit-Narrativ zuvorderst über ihre Weiblichkeit definiert. Im Vergleich zu einem männlichen König macht sie dies unterlegen. Man kann den Topos Königinnenstreit also im Sinne einer herrscherinnenskeptischen, ja frauenskeptischen Weltsicht deuten.
Die gesamte Liebes- und Verführungsdynamik im Drama Maria Stuart ist Schillers kreative Eigenleistung. Der zentrale Dialog der Königinnen gerät erstaunlich kurz und „deftig“. Vielfach wurde das „Fischweib“-Niveau dieser Auseinandersetzung gerügt. Eine Kostprobe will ich Ihnen nicht vorenthalten:
Elisabeth:
„Ja, es ist aus, Lady Maria. Ihr verführt
Mir keinen mehr. Die Welt hat andre Sorgen.
Es lüstet keinen, Euer – vierter Mann
Zu werden, denn Ihr tötet Eure Freier
Wie Eure Männer.
(…)
Das also sind die Reizungen, Lord Leicester,
Die ungestraft kein Mann erblickt, daneben
Kein andres Weib sich wagen darf zu stellen!
Fürwahr! Der Ruhm war wohlfeil zu erlangen,
Es kostet nichts, die allgemeine Schönheit
Zu sein, als die gemeine sein für alle!
(3. Aufz. 4. Auftritt, 2407-2418)
Maria:
Ich habe menschlich, jugendlich gefehlt,
Die Macht verführte mich, ich hab es nicht
Verheimlicht und verborgen, falschen Schein
Hab ich verschmäht, mit königlichem Freimut.
Das ärgste weiß die Welt von mir und ich
Kann sagen, ich bin besser als mein Ruf.
Weh Euch, wenn sie von Euren Taten einst
Den Ehrenmantel zieht, womit Ihr gleißend
Die wilde Glut verstohlner Lüste deckt.
Nicht Ehrbarkeit habt Ihr von Eurer Mutter
Geerbt, man weiß, um welcher Tugend willen
Anna von Boleyn das Schafott bestiegen.
(…)
Der Thron von England ist durch einen Bastard
Entweiht, der Briten edelherzig Volk
Durch eine list’ge Gauklerin betrogen.
Regierte Recht, so läget Ihr vor mir
Im Staube jetzt, denn ich bin Euer König.“
(3. Aufz. 4. Auftritt, 2422-2432, beides Ausg. Reclam 2001, S. 83)
Damit macht Maria Elisabeth sprachlos. Maria hat Elisabeth als Frau und als Herrscherin moralisch vernichtet. Die regierende Königin Elisabeth flieht vor ihrer Gefangenen Maria. Natürlich gräbt sich Maria dadurch ihr eigenes Grab. Eine tödlich getroffene Frau kennt bekanntlich keine Gnade. Das kommt uns aus dem Nibelungenlied bekannt vor.
Qualitäts-Falle Klischee
Und damit zeigt sich, dass im Topos Königinnenstreit eine Falle für die literarische Qualität lauert. Gestatten Sie mir die folgenden Denkanstöße. Mit Elisabeths anfänglicher Häme über Marias „allgemeine Schönheit“ verhält sich die kluge Königin eher wie ein Fischweib. Bertold Brecht hat dies übrigens tatsächlich als Marktweiberstreit umgedichtet – als Übung für Schauspielerinnen.
Für die Dramatisierung des Stoffs war die persönliche Begegnung der beiden Königinnen unabdingbar. Doch hätte man sie nicht auch eher als besonnene, längere Auseinandersetzung ausgestalten können, mit Potenzial für Tragik oder Rührung? Mit mehr Verständnis für die Zwickmühle, in der sich Elisabeth befand? Dies hätte die tragische Qualität des Stücks erhöht, kritisierte schon Madame de Stael im 19. Jahrhundert.
Für beide Figuren erweist sich der Königinnenstreit als nachteilig und verhängnisvoll. Elisabeth verbaut sich jegliche Lösung durch bewährtes Aussitzen. Stattdessen wird sie von verletzten Gefühlen ins Unterschreiben des Vollstreckungsurteils getrieben. Damit vergisst eine als klug und besonnen bekannte Königin ihre Souveränität. Auf der anderen Seite verbaut sich die lebenshungrige Maria ihre letzte Chance. 19 Jahre lang hatte sie sich von der Begegnung mit Elisabeth ihre Begnadigung erhofft.
Man erkennt in Schillers Darstellung der Begegnung kein noch so winziges Momentum, in dem es auch hätte gut ausgehen können. Keine Tragik also, in der es kippen könnte. Von Anfang bis Ende fliegen nur Vorwürfe. Eigentlich erstaunlich bei Schiller, der so am Wesen der Tragik interessiert war. Der sich an Aristoteles maß und mit Goethe das tragische Potenzial des Stoffes mehrfach diskutiert hatte. Schiller erlag eher der Versuchung, Maria als reuige Maria Magdalena dem Publikum sympathisch zu machen. Die differenziertere schauspielerische Leistung sah er bei Elisabeth. Zu Recht.
Schlussbetrachtung
Es ist ihr Streit, der den Königinnen ihre Würde nimmt. Gnadenlosigkeit, Vernichtung, Verlust der königlichen Souveränität: Im Königinnenstreit zeigt sich, dass eine Frau nur so lange halbwegs königlich sein kann, wie sie nicht mit weiblicher Konkurrenz zu tun hat. Irgendwann kommt es im Leben jeder Königin zu einem solchen Konflikt: Streit um denselben Mann, weibliche Konkurrenz oder Schwiegermutter-Konstellation. Mancher Autor, der der Versuchung zum Königinnenstreit auf dem Leim gegangen ist, bietet da die Schlussfolgerung an, dass eine Frau „eben doch“ nicht so souverän herrschen könne wie ein Mann. Königinnen fehlt es eher an Souveränität, an Distanz zu ihrem Gefühlsleben, an der Unabhängigkeit von ihrem Wert im Blick des Mannes. Schillers Elisabeth passt so überhaupt nicht zur historischen Wirkung und Beliebtheit der Königin, die doch England zu Frieden, Macht und Wohlstand führte wie wenige männliche Kollegen vor oder nach ihr.
Lassen Sie mich zum Schluss noch das Augenmerk auf eine scheinbare Nebensächlichkeit lenken, eine Stilfrage. Oft haftet der Darstellung des Streits zwischen Königinnen etwas Lächerliches an. Dabei geht es für die Protagonistinnen um nicht weniger als ihre Existenz, um Leben und Tod. Im Nibelungenlied wird gemahnt, von zutiefst verletzten Frauen gehe höchste Gefahr aus. Auch das diesjährige Festspielstück feixt nicht über streitende Königinnen. Sondern rückt auch ein schwesterliches Moment in den Blick.
Wie verführerisch der Griff zum Klischee Königinnenstreit auch für Geschichtsnarrative sein kann, haben diese Ausführungen exemplarisch gezeigt. Behalten wir uns also vor, ab und zu ein wenig an dem zu zweifeln, was uns als stimmige Deutung vorgesetzt wird. Und unsere eigenen Fragen an die Figuren der Geschichte und der Literatur zu stellen.
Literatur
Quellen:
Thietmar von Merseburg
- Dresdener Handschrift, hrsg. von Ludwig Schmidt (mit der Edition von Robert Holtzmann von 1935). Digitalisat
- Editio princeps: Chronici Ditmari Episcopi Mersepurgii, libri VII: nunc primum in lucem editi…, Frankfurt 1580. Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek
- Georg Heinrich Pertz u. a. (Hrsg.): Scriptores (in Folio) 3: Annales, chronica et historiae aevi Saxonici. Hannover 1839, S. 723–871 (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat) Brauchbare Ausgabe
- Robert Holtzmann (Hrsg.): Scriptores rerum Germanicarum, Nova series 9: Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung (Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon) Berlin 1935 (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat)
Annales Quedlinburgenses:
- Martina Giese (Hrsg.): Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 72: Die Annales Quedlinburgenses. Hannover 2004 (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat) (= maßgebliche Edition)
- Georg Heinrich Pertz u.a. (Hg.): Scriptores (in Folio) 3: Annales, chronica et historiae aevi Saxonici. Hannover 1839, S. 22–90 (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat)
Epitaphium Adelheide Auguste (einschl. der Miracula), in: Die Lebensbeschreibung der Kaiserin Adelheid von Abt Odilo von Cluny, bearbeitet von Herbert Paulhart, MIÖG Ergänzungsband XX, ii, Graz und Köln 1962.
Erwähnte Sekundärdarstellungen:
Eickhoff, Eckehard: Theophanou und der König. Otto III. und seine Welt. Klett-Cotta 1996
Faber, Gustav: Der Traum vom Reich im Süden. Die Ottonen und Salier. Beck 1983
Fößel, Amalie (Hg.): Die Kaiserinnen des Mittelalters. Friedrich Pustet 2011
Schiller, Friedrich: Maria Stuart. Ein Trauerspiel. Reclam durchgesehene Ausgabe 2001
Weinfurter, Stefan: Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500, C.H. Beck 2008
Dr. Regina Urbach am 20.7.2022