Alberich und Mime – Verachtete und rachsüchtige Zwerge?

von Doris Schweitzer

Im zweiten Akt des „Siegfried“ bewacht der Riese Fafner, in Gestalt eines Drachens, den ihm teils durch Arbeit, teils durch Brudermord zugefallenen Nibelungenschatz. Alberich, der ehemalige Schatzbesitzer, der ihn durch Entsagung gewonnen und durch göttliche List und Erpressung gleich wieder verloren hat, versucht Fafner zur Herausgabe des Rings zu überreden. Darauf erwidert dieser lapidar in insgesamt sieben Wörtern auf vier Tönen: „Ich lieg und besitz; – lass mich schlafen!“

Color Illustrations for Wagner‘s Ring, Arthur Rackham, 1912

Geld und Besitz, dieses Thema zieht sich wie ein Leitmotiv durch Wagners Äußerungen, von den Schriften der Revolutionsjahre 1848/49 bis zu Bemerkungen, die Cosima in den letzten Wochen vor seinem Tod aufgeschrieben hat. Seine Einstellung dazu hat sich nie geändert. Aus seinen letzten Monaten in Venedig stammt seine Äußerung, der Kampf des „Nicht-Besitzenden gegen die Besitzenden“ sei „der allergerechtfertigste“. So spricht er im selben Jahr 1881 vom „verhängnisvollen Ring des Nibelungen als Börsenportefeuille“ und wünscht sich eine „Interpretation des Zyklus nach der Bedeutung des Goldes und des Untergangs einer Race daran.“ Besitz und Herrschaft hängen bei Wagner aufs engste zusammen. Dieser Aspekt des Besitzens wird im „Ring des Nibelungen“ der entscheidende: Im Kampf um den Hort geht es immer nur um die Macht, die sich mit Hilfe des Rings ausüben lässt und fast nie um seinen materiellen Wert. Dabei wird aber immer nur davon geredet wie mächtig der Ring macht, kein Ringbesitzer, und das sind nacheinander: Alberich, Wotan, Fafner, Siegfried, Brünnhilde, wieder Siegfried, wieder Brünnhilde, schließlich die Rheintöchter, übt damit wirklich Macht aus. Der Besitz des Ringes ist ein Symbol für Herrschaft. Besitz ist nicht ein bloßes Instrument der Herrschaft, sondern ist mit ihr identisch. Der Ring der Macht zielt auf Alleinherrschaft.

Wie kam nun Alberich zum Ring?

Der Vorabend zur Operntetralogie heißt „Rheingold“ und ist dem Anfang allen Übels gewidmet: Im Rhein schlummert ein beachtlicher, bislang von keinem Unredlichen angetasteter Goldschatz. Ihn hüten, die in der Wasserwelt des Rheins lebenden, verführerischen, neckischen und unbeschwerten Rheintöchter. Dem Schwarzalben Alberich gelingt es, den Rheintöchtern den Goldschatz zu rauben, nachdem sie ihm ein Geheimnis verraten haben. Nur wer der Liebe entsagt, ist fähig, mit Hilfe des Rheingoldes höchste Macht zu erringen. Darauf lässt sich der räuberische Alberich ein. Er schwört der Liebe ab und schafft sich aus dem geraubten Gold einen Ring, der ihm unermessliche Macht über andere gewährt. So zwingt er die Nibelungen für ihn zu arbeiten, was ihm seinen Reichtum beträchtlich mehrt. Alberichs Bruder Mime, ein exzellenter Schmied, schafft ihm überdies einen Tarnhelm, der Unsichtbarkeit ermöglicht und damit erhebliche Kontrollgewalt vermittelt. Die ihres Goldes beraubten Rheintöchter bitten die Götter um Hilfe, doch die haben gerade andere Sorgen. Der oberste Lichtalbe Wotan hat sich von den Riesen Fasolt und Fafner die Götterburg „Walhall“ bauen lassen, ohne über die dafür erforderlichen Mittel zu verfügen. Nun verlangen die Riesen ihren Lohn, der ihnen von Wotan zugesagt wurde. Da Wotan diesen nicht bezahlen kann, verpfändet er zunächst die Göttin Freia an die Riesen. Ohne Freias Äpfel verlieren die Götter allerdings ihre Jugend und auch Fricka, Wotans Ehefrau und Freias Schwester, ist mit diesem Geschäft nicht einverstanden. Da kommt Wotan die Bitte der Rheintöchter, Alberich das geraubte Gold wieder abzunehmen gerade recht. Zusammen mit dem zwielichtigen und listenreichen Loge, steigt er in Alberichs Reich hinab, um den Räuber zu berauben. Das ist nicht ganz so einfach, denn Alberich hat den Ring der Macht und den Tarnhelm. Als Alberich demonstriert, dass er sich nicht nur in einen Lindwurm verwandeln kann sondern auch in eine kleine Kröte, packen Wotan und Loge zu und bringen Alberich zu den Göttern. Nun muss sich Alberich seine Freiheit mit seinem Gold erkaufen. Nachdem er auch noch Ring und Tarnhelm herausrücken muss, verflucht er alle, die künftig den Ring besitzen werden. Die beiden Riesen wiegen nun Freia mit Gold auf, fordern aber von Wotan auch den Ring und den Tarnhelm, der das Gewünschte nur sehr widerwillig übergibt. Durch den Hinweis Loges auf die Bedeutung des Ringes verführt, will nun jeder der Riesen den Ring für sich allein haben. Fafner löst das Problem kurz und effektiv, indem er seinen Bruder Fasolt erschlägt. Der ist also das erste Opfer von Alberichs Fluch. Die Götter ziehen, von dem Geschehen unbeeindruckt und vor allem schuldenfrei, über eine Regenbogenbrücke in ihre neue Burg ein. Nun hat Fafner den Ring, den sowohl Alberich als auch Wotan wollen. Wotan ist allerdings an den Vertrag mit den Reisen gebunden und kann Fafner nicht einfach den bezahlten Lohn wieder abnehmen. Er muss also jemand finden, der aus freien Stücken Fafner überwindet und ihm den Schatz abnimmt. (Heinz Krejci)

In der germanischen Mythologie gehören Zwerge zu den Elben. Snorri meint in seiner Edda mit den Dunkelelben, mit den dökkalfar, ebenso Zwerge. Wagner nennt sie im „Ring“ Schwarzalben. Die Zwerge erscheinen im Volksglauben vorwiegend als die kunstreichen Elben, als die Schmiede. Die Zwerge sind fast immer missgestaltig, dickköpfig, alt, graubärtig, höckrig, von bleicher Gesichtsfarbe, zuweilen enten- oder geißfüßig, unscheinbar gekleidet. Nur die Könige tragen prächtige Gewandung. Die Zwerge sind so groß wie ein drei- oder vierjähriges Kind, manchmal noch kleiner. Sie sind geschickt, klug und listig. Sie machen sich mit einer Kapuze unsichtbar. Gemeint ist wohl ein Zaubernebel, in dem sie selber verschwinden oder mit dem sie die anderen verblenden. Die Tätigkeit der Zwerge besteht nun darin, dass sie edle Steine und Metalle ausgraben, zu großen Schätzen anhäufen und zu Geschmeide aller Art verarbeiten. Sie sind Bergknappen und Schmiede zugleich. Auch nach dem „Liede vom hürnen Seyfrid“ ruht Nibelungs Hort von den Zwergen gehütet im Berge. Nach der „Völsunga saga“ war der Zwerg Andwari so zauberkundig, dass er zuweilen als Fisch im Wasser lebte. Loki fing ihn und verlangte, dass er, um sein Leben zu lösen, alles Gold ausliefern solle, das er habe. Der Zwerg gab all sein Geld her, doch barg er in seiner Hand einen kleinen Goldring. Das sah Loki und verlangte, dass er auch diesen Ring ihm übergab. Der Zwerg bat, ihm diesen Ring nicht fortzunehmen, da er durch ihn seinen Besitz wieder vermehren könne. Loki aber sagte, er dürfen nichts zurück behalten, nahm ihm den Ring fort und wandte sich zum Gehen. Da sprach der Zwerg, dass der Ring jedem, der ihn besitzt, den Tod bringen werde. So berichten die „Regins mol“ und die „Skaldskapar mol“ der Edda. Elbengewirk, das in Menschenhand gerät, ist öfters Segen und Fluch bringend. Doch mehr als in Schmucksachen zeichnen sich die Zwerge durch Anfertigung berühmter und begehrter Waffenstücke aus. Der Schmied Regin war geschickter als alle Menschen und seinem Wuchse nach ein Zwerg. Er war klein, grimmig und zauberkundig. Zu ihm kam Sigurd in Unterweisung und Lehre. Regin fertigte ihm das Schwert Gram. In der „Thidreks saga“ heißt der Schmied Mimir. Zu ihm kommt auch Welent in die Lehre, dass er Eisen zu schmieden lerne. In Wagners „Ring“ lernt Siegfried bei Mime das Schmieden. Die besten Waffen in deutschen Heldensagen sind Zwergenarbeit. Wird aber die Arbeit erzwungen, so legen die Zwerge ihren Fluch darauf. (Wolfgang Golther)

Zwerge und Riesen gehören seit jeher zum Personenarsenal von Märchen und Sagen. Auf der Opernbühne sind sie eher selten zu finden wie in Ferdinand Hummels „Rumpelstilzchen.“ Zemlinskys „Geburtstag der Infantin“ nach Oscar Wilde gilt als Meisterwerk der sogenannten Zwergenoper. In der Literatur der Romantik gelangen die Zwerge zu neuer Popularität in den Dichtungen von Tieck und Hofmann, von Fouqué und Heine und anderer. Diese Werke waren Wagner natürlich bekannt, aber er griff bei seiner „Ring“ Dichtung hauptsächlich auf die altnordischen Lieder der Edda, insbesondere auf die „Völsunga saga“ und die „Thidreks saga“ zurück. In der „Snorra-Edda“, benannt nach dem Skaldenlehrbuch des Isländers Snorri Sturlusons, wird erzählt, wie sich die Götter erinnerten, auf welche Weise die Zwerge im Staub und tiefer in der Erde lebendig geworden waren wie Maden im Fleisch. Die Zwerge hatten sich zuerst gebildet und Leben gewonnen im Fleisch des Rmir und waren dazumal wirklich Maden, aber durch den Spruch der Götter bekamen sie Verstand und menschliche Gestalt, hausten aber doch in der Erde und in Felsen. Bei Wagner liest sich das 1848 in seinem „Entwurf zu einem Drama“, aus dem der „Ring“ später hervorgehen sollte, folgendermaßen: „Dem Schoße der Nacht und des Todes entkeimte ein Geschlecht, welches in Nibelheim (Nebelheim), d. i. in unterirdischen düsteren Klüften und Höhlen, wohnt: sie heißen Nibelungen, in unsteter, rastloser Regsamkeit durchwühlen sie (gleich Würmern im toten Körper) die Eingeweide der Erde: sie glühen, läutern und schmieden die harten Metalle.“ Wichtig ist der Bezug den Wagner zwischen dem zunächst naturgegebenen und bald schon mythisch-sagenhaft gedeutetem Gegensatz von Tag und Nacht und den konkret politischen und ökonomischen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts herstellt, der sich im „Rheingold“ in Alberichs Diebstahl und in Wotans Machtverlangen manifestiert. „Ob Alberichs Raub des Rheingolds, die „Ursünde“ des Wagnerschen Welt-Mythos auf die Völuspa zurückgeht, ist höchst fraglich – sie ist wohl seine eigene Interpretation des Weltgeschehens aus der Sicht des Kommunistischen Manifests, das er wohl durch Vermittlung von Georg Herwegh kannte.“ (Udo Bermbach)

Der Gegensatz von Dunkel und Helle, Nacht und Licht, Unten und Oben bestimmt den Beginn des Rheingold: „Auf dem Grunde des Rheines, wo Alberich, wie die Regieanweisung lautet, aus einer finsteren Schlucht— an einem Riffe klimmend, dem Abgrunde entstiegen ist: Er hält, noch vom Dunkel umgeben an und schaut dem Spiele der Wassermädchen mit steigendem Wohlgefühl zu.“

Alberich: „He he! Ihr Nicker! / Wie seid ihr niedlich, / neidliches Volk! / Aus Nibelheims Nacht /naht‘ ich euch gern, / neiget ihr euch zu mir.“ „Wie scheint im Schimmer / ihr hell und schön! / Wie gern umschlänge / der Schlanken eine mein Arm, / schlüpfte hold sie herab!“

Wapnewski schrieb dazu 1995: „Der dunkle Zwerg Alberich, unterirdischen Erdtiefen entstammend, will triebhafte Gier ausleben, will sich die schmucken Schwimmerinnen zur Lust nehmen – oder doch eine von ihnen. Ein Begehren, das sich als nicht ganz unverständlich erweist, wenn man hört und sieht, wie die koketten Mädchen den täppisch-tappenden Werber narren mit flirrenden Tönen verführerischer Lockung.“ (Peter Wapnewski)

Nachdem auch die dritte Rheintocher Flosshilde Alberich zurückstößt, kreischt der enttäuschte Zwerg: „Wehe! Ach wehe! / O Schmerz! O Schmerz! / Die dritte, so traut, / betrog sie mich auch? /Ihr schmählich schlaues, liederlich schlechtes Gelichter! / Nährt ihr nur Trug, ihr treuloses Nickergezücht?“

Die Musik unterstreicht Alberichs Klage, die nicht dem Lustentzug sondern dem Liebesverlust gilt, der dreifachen Zurückweisung und der Erkenntnis, verachtet und verlacht zu sein: „Lacht ihr Bösen mich aus?“

„Er verbleibt in sprachloser Wut, den Blick aufwärts gerichtet, wo er dann plötzlich von folgendem Schauspiele angezogen und gefesselt wird. Durch die Flut ist von oben her ein immer lichterer Schein gedrungen, der sich nun an einer hohen Stelle des mittleren Riffes zu einem blendend hell strahlenden Goldglanze entzündet; ein zauberhaft goldenes Licht bricht von hier durch das Wasser.“ (Regieanweisung)

Woglinde: „Des Goldes Schmuck / schmähte er nicht, /wüßt‘ er all seine Wunder!“ Wellgunde: „Der Welt Erbe / gewänne zu eigen, / wer aus dem Rheingold / schüfe den Ring, / der maßlose Macht ihm verlieh‘.“

Woglinde: „Nur wer der Minne / Macht versagt, / nur wer der Liebe / Lust verjagt, / nur der erzielt sich den Zauber / zum Reif zu zwingen das Gold.“ Alberich, so die Regieanweisung, die Augen starr auf das Gold gerichtet, hat dem hastigen‘ Geplauder der Schwestern wohl gelauscht: „Der Welt Erbe / gewänn ich zu eigen durch dich? / Erzwäng ich nicht Liebe, doch listig erzwäng‘ ich mir Lust? Furchtbar laut: „Spottet nur zu! / Der Niblung naht eurem Spiel!“ Alberich auf der Spitze des Riffes, die Hand nach dem Golde ausstreckend: „Bangt euch noch nicht? / So buhlt nun im Finstern, / feuchtes Gezücht! / Das Licht lösch‘ ich euch aus, / das Gold entreiß‘ ich dem Riff, / schmiede den rächenden Ring: / denn hör es die Flut – / so verfluch‘ ich die Liebe!“ Während nun Alberich der Liebe entsagt und dafür das Gold an sich reißt, erlebt Wotan eine midlife-crisis: “ Als junge Liebe / Lust mir verblich, / Verlangte nach Macht mein Mut / Von jäher Wünsche / Wüten gejagt, / Gewann ich mir die Welt.“ Der Sehnsucht der Götter nach dem Schönen, stehen ihre Lustgier und ihr Leichtsinn gegenüber. Was sie aus Übermut und Langeweile unternehmen, tat der Nibelung „aus schmählicher Not, / in des Zornes-Zwange.“

Patrice Chéreau deutet in seiner Ringinszenierung 1976 in Bayreuth, die später als Jahrhundertring bezeichnet wird, aber bei ihrer Premiere heftige und wochenlange Proteste in Bayreuth ausgelöst hat, folgendermaßen: „Die erste Szene des Ring ist im Text voller Boshaftigkeit. Drei Mädchen verführen jemanden aus Spott, verletzen ihn und sind sehr grob, obwohl sie ihm vorher Zärtlichkeiten versprochen haben….Ohne die Provokation der Rheintöchter hätte Alberich die Liebe vielleicht nicht verflucht. Ich meine…., dass man nicht weiß, wer Alberich war, bevor die ersten Worte im Rheingold gefallen sind. Man weiß von ihm nur das, was er uns vor Augen führt: Fassungslos schauen wir der ungeheuerlichen Umwandlung eines Menschen zu, der die Liebe suchte und sich anschickt, sich selbst zu verstümmeln und endgültig auf das Vergnügen zu verzichten, um sich die Welt zu erobern. Nur eine schreckliche Frustration – sie kann nicht nur von dieser einzigen Szene herrühren, die wir gesehen haben – nur ein langes Leben in Erniedrigung können dahin führen und können die Brutalität und in der Folge auch die Machtgier Alberichs verständlich machen, seine Umwandlung in den „Herrn“ seiner Gleichgestellten, seine Umwandlung in den scharfen Gefängnisaufseher.“

Alberichs grenzenlose Enttäuschung, dass sich keine der Rheintöchter auch nur andeutungsweise äußern könnte, was in der Zwergen-Oper Zemlinskys die Zofe Gita als ihren Wunsch ausspricht: „Die Menschen mit meiner Liebe beglücken, die freudlos und hässlich sind“, macht aus Alberich den Gefängnisaufseher, wie wir ihn in der dritten Szene des Rheingold sehen. In einer unterirdischen Kluft knufft und schlägt Alberich seinen Bruder Mime, der ihm den Tarnhelm schmieden soll. „Dank, du Dummer! / Dein Werk bewährt sich gut.-/ Hoho! Hoho! / Nibelungen all, neigt euch Alberich! / Überall weilt er nun, euch zu bewachen; / Ruh und Rast / ist euch zerronnen; ihm müsst ihr schaffen, / wo nicht ihr ihn schaut; / wo ihr nicht ihn gewahrt, / und seiner gewärtig: / untertan seid ihr ihm immer! / Hoho! Hoho! / Hört ihn, er naht, / der Nibelungen-Herr!“ Nun ist Alberich im Besitz des Rings und des Tarnhelms, aber nicht lange, denn Wotan, der sich an der Seite Frickas langweilt und zudem den Riesen den versprochenen Lohn bezahlen muss, kommt Loges Vorschlag, Alberich um sein Gold zu erleichtern, gerade recht. In Nibelheim treffen sie zuerst auf Mime, der sich bitter beklagt: „Wer hilft mir? / Gehorchen muss ich / dem leiblichen Bruder, / der mich in Bande gelegt. /Mit arger List / schuf sich Alberich / aus Rheines Gold / einen gelben Reif; / seinem starken Zauber / zittern wir staunend; / mit ihm zwingt er uns alle, / der Nibelungen nächtiges Heer.-/ Sorglose Schmiede, schufen wir sonst wohl / Schmuck unseren Weibern, / wonnig Geschmeid, / niedlichen Nibelungentand: / wir lachten lustig der Müh‘, / Nun zwingt uns der Schlimme / in Klüfte zu schlüpfen, / für ihn allein / uns immer zu mühn, /Durch des Ringes Gold / errät seine Gier, / wo neuer Schimmer / in Schächten sich birgt: / da müssen wir spähen, / spüren und graben, / die Beute schmelzen / und schmieden den Guß, / ohne Ruh und Rast / den Hort zu häufen dem Herrn.“ Alberich grimmig auf Wotan und Loge zutretend: „Die in linder Lüfte Wehn / da oben ihr lebt; / lacht und liebt: / mit goldener Faust / euch Göttliche fang‘ ich mir alle! / Wie ich der Liebe abgesagt, / alles was lebt/ soll ihr entsagen; / mit Golde gekirrt, / nach Gold nur sollt ihr noch gieren. / Auf wonnigen Höhn / in seligem Weben / wiegt ihr euch, / den Schwarz-Alben / verachtet ihr ewigen Schwelger: -/ Habt Acht vor dem nächtlichen Heer, / entsteigt des Nibelungen Hort /aus stummer Tiefe zu Tag!“ Wotan und Loge gelingt es mit einer List, Alberich gefangen zu nehmen. Nun muss er sich freikaufen. Als Wotan ihm den Ring, mit heftiger Gewalt, so die Regieanweisung, vom Finger zieht, schreit Alberich grässlich auf: „Weh! Zertrümmert! Zerknickt! / Der Traurigen traurigster Knecht!“ Als letztes Mittel, mit Wütendem Lachen (Regieanweisung) verflucht Alberich den Ring: „Bin ich nun frei? / wirklich frei? – / So grüß‘ euch dann / meiner Freiheit erster Gruß! -/ Wie durch Fluch er mir geriet, / verflucht sei dieser Ring! / Gab sein Gold / mir – Macht ohne Maß, / nun zeug‘ sein Zauber / Tod dem – der ihn trägt!“ Die Gefahr für die unmenschlichen Götter kommt von unten, aus der Tiefe und aus der Nacht. Gegensätze zu Wagners positiven Bildern von Höhe und Wahrheit. Natur und die Wahrheit gegen die Unnatur und die Lüge. Allerdings – und das macht die Zweideutigkeit der Figur Alberichs aus – bedient er sich der gleichen fatalen Mittel zum alten Zweck: Alberich, der von unten kommt, will voller Protest gegen die Herrschaft der Götter nichts anderes werden als ein anderer Wotan. Wagner hat beide als parallele Figuren konstruiert. Alberich ist Wotans Spiegelbild – das dunkle Machtstreben von unten gegen die Machtausübung des Gottes im Hellen. Der Schwarzalbe und der Lichtalbe unterscheiden sich nicht in ihren Machtgelüsten, es gibt aber doch einen entscheidenden Unterschied: Die Götter sind an der Macht, die Nibelungen nicht. In Wagners frühsten Notizen zum „Siegfried“ erscheinen die Nibelungen als Masse auf der Bühne und protestieren gegen die Unterdrückung durch Alberich. Dieser, genau wie sein ihm verfeindeter Bruder Mime, versprechen den Nibelungen die Freiheit, wenn sie denn nur helfen, den Ring zurück zu bekommen, der nun im Besitz Siegfrieds ist. Wagner hat diese realistische Version schnell wieder verworfen und die Nibelungen nur als passiv Leidende ins „Rheingold“ eingefügt, danach erscheinen sie nicht mehr. Wagners Änderung macht allerdings Sinn im Hinblick auf Alberich. Er erscheint nun als Repräsentant des Volkes „unten“ und wird damit zur positiven Figur. Alberich steht für die heraufkommende Klasse: die bisher Unterdrückten, die sich allerdings derselben Mittel bedienen wie die Herrschenden, um die Macht zu erlangen und dabei genauso schuldig werden: weil sie die revolutionäre Umwälzung nur begreifen als eine Übertragung der Herrschaft auf sich. Und weil solche Herrschaft – so Wagner – überhaupt böse ist, scheitert eben auch Alberich, er bekommt den Ring nicht. Als Richard und Cosima bei einer Konzertreise mit einem Schiff über die Themse fahren, da referiert sie Wagners Satz: “ Der Traum Alberich’s ist hier erfüllt, Nibelheim, Weltherrschaft, Tätigkeit, Arbeit, überall der Druck des Dampfes und Nebel.“ Da verschmelzen in der Bewunderung für die moderne Industriestadt London Gegenwart und Zukunft: Weltherrschaft und Arbeit. Das erinnert an Wagners Prophezeiung über die künftige führende Rolle der Arbeiterklasse.

In seiner ersten Darstellung des „Nibelungenmythus“ steht in Brünnhildes Schlussansprache: „gelöset sei der Nibelungen-Knechtschaft, der Ring soll sie nicht mehr binden. Nicht soll ihn Alberich empfangen; der soll nicht mehr euch knechten; dafür sei er selbst aber auch frei wie ihr.“ Erst bei der endgültigen Fassung wird Alberich nicht mehr erwähnt. Alberich ist für Wagner eine zentrale Figur, sie muss überleben, weil sie für die Gegenwart und die Zukunft der Menschen steht. Robert Donnington hat in seiner psychologischen Deutung des „Rings“ darauf hingewiesen, dass Zwerge in der Mythologie für ungehemmte Sexualität stehen. Aber auch für den „Logos“, das typisch männliche Prinzip des Unterscheidungsvermögens und der Vernunft, im Gegensatz zu Eros, dem typisch weiblichen Prinzips des einigenden Gefühls. Die „ungebärdige Kraft männlicher Sexualität“ zeigt sich in Alberichs Gewaltausbrüchen, ja, sie sind geradezu sexuelle Ersatzhandlungen. Alberichs Auftritte von dem Gerangel mit den Rheintöchtern bis hin zum Gespräch mit seinem Sohn Hagen in zweiten Akt der „Götterdämmerung“ sprechen von seiner Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung. Als ihm diese nicht zuteil wird, wendet er auch seine Sexualität in Gewalt. (Robert Donnington)

Alberichs einziger Sexualkontakt von dem im „Ring“ berichtet wird, ist nicht ganz eindeutig. Er hat mit Grimhilde, der Mutter von Gunter und Gutrune, im außerehelichen Verkehr seinen Sohn Hagen gezeugt. Wotan hat mit einer Menschenfrau die Zwillinge Siegmund und Sieglinde gezeugt, damit Siegmund als freier Mensch die Götter rette. Auch Hagen soll für seinen Vater dessen höchstes Ziel verwirklichen, den Ring und damit die Macht über die Welt zu gewinnen. In der „Walküre“ erzählt Wotan, dass sich Alberich des Goldes bedient hätte, um Grimhilde gefügig zu machen, aber das hatte er ja zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Hagen spricht von einer „List“ seines Vaters, der seine Mutter erlegen sei. Wenn man davon ausgeht, dass weder Gold noch Gewalt im Spiel war, dann muss es zwischen Alberich und Grimhilde so etwas wie Liebe gegeben haben wie auch zwischen Wotan und der namenlosen Menschenfrau, wobei beide Männer sicher weniger die Liebe als ein bestimmtes Ergebnis im Auge hatten. Das musste folgerichtig schief gehen, weder Wotans noch Alberichs Plan geht auf. Wagner hat Alberich mit allen Möglichkeiten und Eigenschaften eines menschlichen Lebewesens ausgestattet: grausam und ängstlich, stark und schwach, gewalttätig und liebesfähig. Wie in allen seinen Figuren sah Wagner auch in Alberich sich selbst. Heinrich Porges, Wagners Freund und Festspiel-Assistent, hat in seinem Bericht über die „Ring“ Proben 1876 von Wagners „wahrhaft dämonischer Gabe“ gesprochen „sich in alle möglichen Gestalten zu verwandeln“, was besonders in der dritten Szene des „Rheingolds“ deutlich wird. Alberich, das unedle Wesen, ist eben doch das leidensfähige Geschöpf, mit Sehnsucht begabt und der Erlösung bedürftig. (Dieter Schickling)

Der Gegensatz Alberich – Wotan kehrt im „Siegfried“ in der Konstellation Mime – Siegfried wieder. Die entscheidenden Szenen übernahm Wagner aus der Snorra-Edda, wo Mime als Schmied beim König in Diensten steht und noch Regin heißt. Er erzog als Pflegevater Sigurd und erzählte ihm von seinem Bruder Fafnir, der auf dem Golde lag, und reizte ihn an, das Gold zu erwerben. Dazu schmiedete er das Schwert Gram. Sigurd grub auf dem Weg Fafnirs zum Wasser eine Grube und setzte sich hinein. Als Fafnir über die Grube kam, stieß ihm Sigurd das Schwert in den Leib. Sigurd briet auf Anweisung Regins das Drachenherz. Als er seine blutbefleckten Finger ableckte, verstand er auf einmal die Sprache der Vögel. Zwei Meisen sprachen: „Da liegt Regin / Berät mit sich; / Den, der ihm traut; / Betrügen will er; / Finster sinnt er / Falschen Anschlag: / Den Bruder rächen / Will der Ränkeschmied.

Da ging Sigurd zu Regin und erschlug ihn, dann ging er zu seinem Pferd Grani und ritt, bis er zur Höhle des Fafnir kam, nahm das Gold heraus, legte es dem Grani auf den Rücken, stieg selbst auf und ritt seines Weges.“ Bis auf ein paar Änderungen übernimmt Wagner diese Vorlage: den Namen Siegfried entnimmt er dem Nibelungenlied, aus den Meisen wird der Waldvogel und Fafner ist bei Wagner nicht mehr der Bruder Mimes. Dessen Darstellung unterscheidet sich deutlich von dem knappen Bericht der Vorlage. Über das von Siegfried Mime entgegen geschleuderte „Ich kann dich ja nicht leiden“ bis hin zu den Regieanweisungen Wagners: „mit kläglich kreischender Stimme“, „in höchster Angst“, „erschrocken“, „kleinmütig in sich“, „er sinkt schreiend hinter dem Amboss zusammen“, unterstreichen sie die Verachtung, die Siegfried seinem Pflegevater gegenüber empfindet. Auch die Grobheiten, die er ihm an den Kopf wirft, belegen dies: „Fratzenschmied“, „schändlicher Stümper“, „der Wicht“, den alten albernen Alb“, „garstiger Gauch“, „räudiger Kerl“, „Mime, du Memme“, „ekliger Schwätzer“. Der aus Rachsucht für erlittenes Unrecht, und das nicht nur durch Siegfried, sonder insbesondere durch Alberich, gespeiste Machttrieb beherrscht den Zwerg zunehmend: „Alberich…/ Der einst mich band, / zu Zwergenfrone / Zwing ich ihn nun; / Als Nibelungenfürst / Fahr ich darnieder: / Gehorchen soll mir / Alles Heer !- / Der verachtete Zwerg, / Wie wird er geehrt! / Vor meinem Nicken / Neigt sich die Welt, / Vor meinem Zorne / Zittert sie hin!“ Mime plant Siegfried, nachdem dieser Fafner getötet hat, mit einem Trank zu vergiften und so selbst in den Besitz des Hortes und des Rings zu gelangen. Da Siegfried aber vom Waldvogel gewarnt wird, erschlägt er seinen Ziehvater und begeht damit seine „uns beseligende Tat“, wie sie Wagner 1848 nennt. In der revolutionären Perspektive von einst siegen deshalb Wahrheit und Licht nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum als Versprechen, mit dem Zwerg zugleich einen Teil vom „Ungestüm der chaotischen Urmacht besiegt und erlegt“ zu haben. (Stefan Bodo Würffel)

Während Mime sterben muss, wird Alberich in den folgenden Szenen von Mal zu Mal menschlicher. Wagner hat gegenüber Alberich fast immer Sympathie empfunden. Als er die Stelle komponiert, wo Siegfried Brünnhilde überwältigt und ihr den Ring entreißt, denkt er an Alberich und dessen Schicksal: „das edelste Wesen leidet dasselbe wie der Unedle, der Wille ist in jedem Geschöpf eins.“ Alberich ist für Wagner in vielfältiger Weise eine zentrale Figur, sie muss überleben und es ist eine seiner größten musikdramatischen Leistungen Alberichs Überleben als Hoffnung erscheinen zu lassen und nicht als Gefahr. Der Bildungsbürger Wagner rechnet allein auf die ganz unten, weil nur sie genug Substanz haben, um das Versprechen der Liebe am Ende der Welt nach diesem Ende zu erwidern. Die Musik, die Alberich umgibt, gewinnt über die Rheingold-Szenen und die Dämonie der Gewalt in der Nibelheim-Szene bis zum Höhepunkt des Hagen-Gesprächs immer mehr verzweifelten Ernst. In dieser Szene zeigt sich Alberich als besorgter Vater, der um die Liebe seines Sohnes wirbt. Aber er strebt auch immer noch nach dem Ring. Während Wotan sich schon lang zurückgezogen hat und nicht mehr in die Geschehnisse eingreift, Siegfried weiß noch nicht einmal, dass er Wotans Enkel ist, erinnert Alberich Hagen: „den goldenen Ring, / den Reif gilt’s zu erringen!“ In diesem Gespräch befreit sich Alberich von seiner düsteren Rolle und überträgt sie auf Hagen, der ja dann auch mit der alten Welt untergeht. Alberichs Gesang gewinnt zunehmend an Leichtigkeit als ob ein Gewicht von ihm abfallen würde. Keine der heroischen Figuren überlebt die „Götterdämmerung“, sie führen nur den Untergang herbei oder sie sind Opfer auf dem Weg zur Freiheit. Die Freiheit kann nur erreichen, der schon immer Opfer war und der durch alle Höhen und Tiefen gegangen ist. Alberich überlebt, damit die Mechanismen der alten Welt in der Erfahrung aufbewahrt bleiben können. Unten im Körper und unten in der Gesellschaft – das hat für Wagner miteinander zu tun. Wer sich beider Lagen bewusst wird, kann für eine neue Menschheit überleben. Er ist nicht ihr Erlöser, aber er wird vielleicht zu ihr erlöst.

Literatur

Udo Bermbach (Hrsg.) „Alles ist nach seiner Art“, Metzler, Stuttgart 2001

Udo Bermbach, Dieter Borchmeyer (Hrsg.) „Der Ring des Nibelungen. Ansichten des Mythos“, Metzler, Stuttgart 1995

Carl Dahlhaus „Richard Wagners Musikdramen“, Reclam, Stuttgart 1996

Robert Donington „Richard Wagners Ring des Nibelungen und seine Symbole“, Reclam, Stuttgart 1995

Martin Geck „Wagner“, Siedler Verlag, München 2012

Wolfgang Golther „Germanische Mythologie“, Marix Verlag, Wiesbaden 2011

Martin Gregor-Dellin „Richard Wagner“, Piper, München 1980

Heinz Krejci „Siegfrieds Kalaschnikow oder der missachtete Wagner“, Verlag Manz, Wien 2013

Barry Millington „Der Magier von Bayreuth“, Primus Verlag, Darmstadt 2012

Dieter Schickling „Abschied von Walhall. Richard Wagners erotische Gesellschaft“, Knaur, Stuttgart 1983

Richard Wagner „Rheingold“, „Siegfried“, „Götterdämmerung“, Reclam, Stuttgart 1997

Peter Wapnewski „Der Ring des Nibelungen. Richard Wagners Weltendrama“, Piper, München 1998