"Die Nibelungen"
in Hebbels Briefen


von Gernot Schnellbacher

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Friedrich Hebbel, Gemälde von Elise Modell, 1846 ..




Einleitung


Anders als bei meinem Vortrag vor einem Jahr soll es heute um Hebbels Darstellung der Nibelungen in seinen Briefen, nicht in seinen Tagebüchern, gehen. Von diesen Briefen sind einige Tausend erhalten und publiziert.
Zuletzt wurden sie im Jahre 1999 herausgegeben, unter anderem von Prof. Otfried Ehrismann, der auch Mitglied der Nibelungenlied-Gesellschaft ist.
In meinem Vortrag möchte ich Sie bekannt machen mit dem Leben Friedrich Hebbels und mit dem Motiv für sein Nibelungen-Drama, dann relativ ausführlich über das Werden seines Werkes, dann dessen Uraufführung in Weimar und seiner folgenden Etablierung bis zur Aufführung in Wien.
Abschließend dann noch einige Gedanken über die Wirkung des Stückes.
Damit Sie einen unmittelbaren Eindruck vom Dichter und seiner Sprache bekommen, werde ich öfter aus seinem Werk zitieren.


I. Hebbels Leben und die Nibelungen


Schon zu Lebzeiten gab es zu Hebbels Person Verwechslungen, wie folgende Episode aus dem Brief an den Hamburger Verleger Campe vom 12. Februar 1863 belegt:

..etwas Ergötzliches. So ließ sich mir neulich auf dem Ball der Mediziner einer unserer Minister vorstellen, der sich, wie er versicherte, ungemein freute, den Verfasser der Nibelungen und – der Alemannischen Gedichte kennen zu lernen. Das Nämliche begegnete mir vor Jahren in Gmunden mit einer Schulmeisters-Frau, die mich ebenso mit dem alten Consistorialrat Hebel in Karlsruhe verwechselte..

Der aus Baden stammende Johann Peter Hebel ist uns wohl weniger durch seine Alemannischen Gedichte als durch Kannitverstan und andere Lesebuchgeschichten aus dem Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes bekannt; jedenfalls darf er nicht mit unserem Autor Friedrich Hebbel verwechselt werden.

Dieser wurde am 18. März 1813 geboren. Er war Sohn eines armen Maurers in dem Marktflecken Wesselburen in Holstein, das damals noch mit dem Königreich Dänemark verbunden war. Schon in der Schulzeit fühlte er sich zur Dichtkunst hingezogen, und bei allen späteren Beschwernissen hielt er mit zähem Willen an seiner Berufung zum Dichter fest. Bis zu seinem 22. Lebensjahr arbeitete er als Gemeindeschreiber in seinem Heimatort. Mit Hilfe der Hamburger Journalistin Amalie Schoppe, die einige seiner Gedichte publiziert und sein Talent erkannt hatte, konnte er 1835 in die Hansestadt übersiedeln. Damals begann er sein Tagebuch, in das er am 18. Februar 1857 eintrug:

Hierbei fällt mir der Moment ein, wo ich das Nibelungenepos zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Es war in Hamburg, als ich Amalie Schoppe zum ersten Mal ... besuchte und bei der ich zu Tisch gewesen war; sie schlief nach dem Essen und ich unterhielt mich mit Büchern in ihrem Garten. Unter diesen befand sich ... das alte Lied, und ich las den Gesang, der Siegfrieds Tod erzählt.

Demnach wäre Hebbel im Alter von 22 Jahren mit dem Nibelungenlied bekannt geworden. Wahrscheinlich kannte er den Stoff aber schon vorher. Im Vorspann zum Text seiner Nibelungen schreibt er nämlich:

Ich war an einem schönen Maientag

Ein halber Knabe noch, in einem Garten

Und fand auf einem Tisch ein altes Buch.

Ich schlug es auf und wie der Höllenzwang ...

So hielt das Buch mich fest. Ich nahm es weg Und schlich mich in die heimlichste der Lauben Und las das Buch von Siegfried und Kriemhild ...
Doch unvergesslich blieben die Gestalten Mir eingeprägt und unauslöschlich war Der stille Wunsch, sie einmal nachzubilden ...

Bis Hebbel begann, die Nibelungengestalten nachzubilden, sollte es noch Jahre dauern nach seiner Übersiedlung nach Hamburg im Jahre 1835. Dort hatte er die neun Jahre ältere Elise Lensing kennengelernt. Diese liebte ihn so sehr, dass sie ihm trotz eigener Notlage alles gab, was sie konnte. Unter anderem ermöglichte sie ihm ab 1836 ein Studium in Heidelberg und München.
Dort geriet er in so bittere Not, dass er im März 1839 zu Fuß (die Eisenbahn war damals noch im Entstehen und eine Kutsche konnte Hebbel sich nicht leisten) den langen Weg nach Hamburg zurückwanderte. Hier kümmerte sich Elise Lensing liebevoll um ihn. Sie war ihm auch nicht böse, dass er sie nicht heiraten wollte, obwohl er mit ihr schließlich zwei Kinder hatte.
Seine ab 1841 erscheinenden Dramen, z. B. Judith oder Genoveva, brachten keine spürbare materielle Besserung seiner Lage. Immerhin erlangte er 1843 ein zweijähriges Reisestipendium des Dänenkönigs. So gelangte er u. a. nach Paris und Rom.

Die große Wende in seinem Leben brachte (so sein Biograf Hayo Matthiesen) das "Wunder von Wien";. Dort war er auf der Heimreise von Rom ziemlich hoffnungslos und gesundheitlich angeschlagen Ende 1845 angekommen.
In der Wiener Presse wurde er als geistvoller Dichter des Dramas Judith begrüßt. Er erfuhr Aufmerksamkeit und materielle Zuwendung. Von der Schauspielerin Christine Enghaus, die eine lebenslange Anstellung am Burgtheater hatte, war er so fasziniert, dass er schon bei der vierten Begegnung mit ihr um ihre Hand anhielt. Sie heirateten im Mai 1846; Hebbel war damals 33 Jahre; es wurde eine glückliche Ehe. Seine Ehefrau wurde so etwas wie die Hebamme seiner Nibelungen. Sie spielte nämlich die Kriemhild in Raupachs Drama "Der Nibelungenhort". Dieses Theaterstück bezeichnete Hebbel zwar in einem Brief als "elendes Machwerk", doch er wurde dadurch motiviert, selbst das Nibelungenlied dramatisch zu gestalten. Laut seinem Tagebuch begann er im Oktober 1855.


II. Die Entstehungsjahre der Nibelungen-Trilogie


In einem Brief an Felix Bamberg, den ersten Herausgeber seiner Tagebücher und Briefe, werden die Nibelungen erstmals am 13. Januar 1856 erwähnt:

..sonst stecke ich schon wieder mitten in einer neuen Tragödie, und zwar in den Nibelungen, wovon bereits zwei Akte so gut als fertig sind. Ein kühnes Unternehmen, nicht wahr? In nüchternen Stunden, zum Beispiel jetzt, schaudert mir auch selbst die Haut, aber das Dichten ist nun einmal ein Mittelding von Träumen und Nachtwandeln und man muss es nehmen wie's kommt.

Für mich ist interessant, dass das Dichten hier geradezu als eine rauschhafte Tätigkeit zwischen Träumen und Nachtwandeln umschrieben wird. Dazu passend schreibt Hebbel drei Monate später, am 12. April 1856, an Friedrich von Uechtritz:

Jetzt, wo zwei Drittel meines neuen Gedichts fertig sind, bin ich wieder nüchtern geworden.

Demselben Adressaten schreibt Hebbel am 21. November 1856:

Ich stecke wieder tief in den Nibelungen, und mein Vertrauen wächst. Das Ganze gruppiert sich mir zu zwei Stücken, deren jedes selbständig sein und drei, freilich große, Akte haben wird.... Die schwerste Aufgabe war Brunhild, die in das Ganze wie eine halb ausgeschriebene Hieroglyphe hineinragt.
Was meint Hebbel hier, wenn er die Brunhild des Nibelungenliedes als halb ausgeschriebene Hieroglyphe bezeichnet ? Irgendwie passt sie für ihn nicht in das übrige Umfeld. Er gab ihr, wie er weiter schreibt, das Wesen einer Walküre und einer Norne, also einer mythologischen Gestalt aus der nordischen Sagenwelt.

Das Dichten kam jetzt nicht mehr so gut voran, wie man dem Brief vom nächsten Tag entnehmen kann, den er an Emil Kuh, seinen späteren ersten Biographen, schrieb:

Die Nibelungen stocken wieder, doch ist mir das eher lieb, als dass es mich ängstigt; ich bin ihrer jetzt so gut als gewiss und kann in solchen Pausen manches Einschlägige studieren.

Ende 1856 und Anfang 1857 ging es jedoch zügig weiter, so dass Hebbel am 12. März 1857 an Friedrich von Uechtritz schreiben kann:
Ich habe in meinem ganzen Leben, die frischesten Jugendjahre nicht ausgenommen, nicht so viel und so glücklich gearbeitet wie in diesem Winter, und wirklich zustande gebracht, was ich im Herbst noch für unmöglich erklärt hätte.
Aber irgendwie fand die Arbeit an den Nibelungen doch kein richtiges Ende. Sie werden zwar in den Briefen erwähnt, doch es ging nicht vorwärts. In einem Brief an Emil Kuh vom 13.Dezember 1857 zweifelt Hebbel daran, ob er die Nibelungen zuende bringt. Am 22. Februar 1858 schreibt er wieder an Kuh: Nur die Nibelungen ruhen und da sie niemand vermisst, ist das kein Unglück.

Neue Motivation scheint Hebbel in Weimar bekommen zu haben. Dorthin war er im Sommer 1858 von Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar eingeladen worden zur Aufführung seines Dramas Genoveva. Hier verbrachte er glückliche Tage im Haus Altenburg, in dem Caroline von Sayn-Wittgenstein, die damals mit Franz Liszt liiert war, und ihre einundzwanzigjährigen Tochter Marie wohnten. Am 26. Juni 1858 schreibt Hebbel an seine Frau Christine:

Abends auf der Altenburg große Gesellschaft, wo Liszt spielte, was er nur selten tun soll; Zigeuner-Rhapsodien, durch die er mich allerdings auch elektrisierte. Am Klavier ist er ein Heros; hinter ihm...die junge Fürstin, die ihm die Blätter umschlug und ihm dabei zuweilen durch die langen, in der Hitze des Spiels wild flatternden Haare fuhr. Traumhaft-phantastisch!

In diesem Altenburg-Kreis, dem auch Richard Wagner nahe stand, wurde auch über die Nibelungen gesprochen. So überließ Hebbel der jungen Marie von Sayn-Wittgenstein, die ihn sehr beeindruckte, sein einziges Manuskript-Exemplar der Nibelungen und schrieb ihr am 2. Dezember 1858:

Ihre liebvolle Aufnahme meines dramatischen Wagestücks, das ich in nüchternen Stunden wohl selbst mit Siegfrieds Zug nach Isenland verglichen habe, wird die Beklommenheit bedeutend vermindern, mit der ich dem Spruch der Welt ... noch immer entgegen sah... Welch eine Belohnung ist ein Urteil wie das Ihrige und das Ihrer durchlauchtigsten Mutter....

Wenige Tage später, am 14. Dezember 1858, ermuntert Hebbel den Generalintendanten des Weimarer Theaters, seinen Duzfreund Franz Dingelstedt, sich mit den Nibelungen zu befassen. Am 2.Januar 1859 stößt er nach:
Aber Du kennst die Nibelungen noch nicht. Dein gnädigster Herr (gemeint ist der Großherzog) hat sich sehr wohlwollend über das Manuskript geäußert und jetzt befindet es sich auf der Altenburg in den Händen der Prinzessin. Lass es Dir doch für ein paar Tage geben.

Hebbels Weimarer Kontakte dauerten an, so auch mit Franz Dingelstedt, dem er im Oktober eine handgeschriebene Kopie seiner Nibelungen zuschickte.
Derartige Kopien enthielten natürlich auch Schreibfehler, wofür Hebbel in einem Brief an Adolf Stern vom 6. September 1861 ein Beispiel gibt:

...sollte Brunhild "wie ein Schaf "statt "wie im Schlaf" murmeln, so setzen Sie diese und ähnliche Versionen auf die Rechnung meines Abschreibers, der mich oft mit genialen Einfällen beschenkt.

Ende 1859 waren die Nibelungen immer noch nicht vollendet. Am 2. Januar 1860 schrieb er an Sigmund Engländer:
In diesem Winter hoffe ich, meine Nibelungen zu endigen. Das erste Stück "Der gehörnte Siegfried" (1 Akt) und das zweite "Siegfrieds Tod" (5 Akte) waren längst fertig. Von dem dritten "Kriemhilds Rache" habe ich zu Weihnacht den dritten Akt geschlossen. Mit dem Ganzen werde ich meine größte Tat oder meine größte Narrheit hinter mir haben. Eine andere Alternative gibt es nicht.

Von der Endphase seiner Arbeit an den Nibelungen berichtet der Brief an Franz Dingelstedt vom 31. März 1860:
Zu Weihnacht brach ich meine Arbeit ab, gewissermaßen freiwillig, denn die Stimmung war noch keineswegs erschöpft oder schien es wenigstens nicht zu sein; mit Eintritt des neuen Jahres wurde ich aber von einer solchen Ermattung befallen und daneben von einer solchen Migraine ergriffen, dass ich bis Mitte Februar nur noch vegetierte und mich auf eine furchtbare Krankheit gefasst machen zu müssen glaubte.... .Plötzlich wurde der Kopf wieder frei, und so wenig ich es noch hoffen durfte, so habe ich dennoch an meinem Geburtstag, dem 18. des Monats, den letzten Vers von Kriemhilds Rache niedergeschrieben und also in Wahrheit ein Monstrum von elf Akten zustande gebracht.

Der Brief geht dann noch auf Einzelheiten ein. Hebbel betont zum Beispiel die Wichtigkeit der Rolle Dietrichs von Bern und verleiht seiner Freude darüber Ausdruck, dass Dingelstedt das neue Drama in Weimar aufführen will.


III. Die Premiere in Weimar


Seltsamerweise will Hebbel aber dann doch nichts mehr von einer Aufführung in Weimar wissen. Am 5. August zieht er unter Verzicht auf anscheinend zugesagte 20 Friedrichs d'ore, das heißt 20 Goldstücke, sein Stück von der Weimarer Bühne zurück, wohl weil er dort einen Reinfall befürchtet. Er begründete das dann so:

Die Aufgabe ist für eine Bühne ersten Ranges nicht leicht, für jede andere aber zu schwer; der Kraftaufwand würde zum Resultat in keinem Verhältnis stehen und ein halber Erfolg mir unbedingt schaden und ein ganzer kaum nützen. Also kein Wort mehr darüber.

Dingelstedt lehnte jedoch diese Zurückziehung freundlich ab, und zwar aus Rücksicht auf den Großherzog und auf die in Weimar schon getroffenen Vorbereitungen. Darauf kündigte Hebbel seinen Besuch und den seiner Frau in Weimar mit folgenden Worten am 29. September 1860 bei Dingelstedt an:

Lieber Freund, Vous l'avez voulu (Sie haben es gewollt), und so hat sich der Drachentöter wieder eingeschifft und trifft nächstens auf der Ilm ein....Die Rächerin Kriemhild wird folgen, sobald sie über reine Wäsche zu gebieten hat....

Was meint Hebbel hier mit der "reinen Wäsche" ? Wohl neue Kleider. Man sieht, unser Dichter kann sich auch witzig bzw. humorvoll ausdrücken, so wie auch oben schon über den Kopierer seiner Texte.

Die angekündigte Reise kam erst zur Première Ende Januar 1861 zustande. Am 2. Februar hatte er dann seiner Frau Christine sehr Erfreuliches zu berichten:
Der Erfolg der Aufführung war unzweifelhaft; eine Aufmerksamkeit und Totenstille, als ob nicht von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft die Rede wäre und eine so fest zusammengehaltene Stimmung, dass nicht einmal die Zwerge mit ihren scheußlichen Buckeln und langen Nasen, das leiseste Gelächter hervorriefen. Der Großherzog ließ mich nach dem Schluss in seine Loge hinauf bescheiden und dankte mir herzlich, ebenso die Großherzogin...

Den hier nur in einem Auszug zitierten Brief beendet Hebbel mit:
In Nibelungen-Liebe und Treue, Euer Nux Nux war sein Kosename in seiner Familie.

Unser Dichter schreibt in den nächsten Tagen von weiteren Einladungen und Empfängen. So habe er den dritten Teil der Nibelungen vor dem ganzen Weimarer Hof und der Elite der Stadt in den großherzoglichen Gemächern vorgelesen, beim Abendessen habe er vis à vis der Großherzogin gesessen, auch ein Enkel Goethes sei einmal dabei gewesen und Ähnliches.

Im Mai 1861ging die gesamte Nibelungentrilogie in Weimar in Szene, wobei Christine Hebbel zugleich Brunhild und Kriemhild spielte. Es wurde ein großer Erfolg, der für die Künstlerin und unseren Dichter zu den Höhepunkten ihres Wirkens zählte. Auf Vorschlag Dingelstedts wollten die Hebbels nach Weimar umziehen, auch der großherzogliche Hof erwärmte sich für diesen Plan.
Warum dann doch nichts daraus wurde, ist schwer zu durchschauen. Vermutlich hatte Dingelstedt umdisponiert.


IV. Die weitere Etablierung der Nibelungen

Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich, dass die Weimarer Uraufführungen über die Bühne gingen bevor noch die Nibelungen gedruckt waren. Ende Oktober 1861 wurde Hebbel aber mit dem Verleger Julius Campe aus Hamburg handelseinig.
Nun konnte unser Dichter an ihm wichtige Publizisten Texte seines Dramas schicken und um eine Rezension bitten, möglichst in einer bekannten Zeitung.
Dass nicht jede diesbezügliche Zusage erfüllt wurde, verdeutlicht dieser Brief an seine Frau vom 1. September 1862:

Mir ist nur das eine auffallend, dass aus Stuttgart nichts eingelaufen ist.
Mörike sagte mir buchstäblich: "Als ich die Nibelungen las, habe ich einmal über das andere ausgerufen: das ist nicht bloß groß, das ist auch schön, und wer bist du, dass ein solcher Mann dir ein solches Werk schickt!" Er rief seine Frau dabei zur Zeugin auf und wollte mir das Weitere schreiben.

Es kam aber nichts. Verärgert war Hebbel auch darüber, dass die damals berühmte Augsburger Allgemeine Zeitung eine längere, wohlmeinende Besprechung des Weimarer Oberbibliothekars Schöll ablehnte, angeblich weil der Schriftsteller Emanuel Geibel dagegen war. Dieser hatte auch ein Nibelungendrama mit dem Titel Brunhild geschrieben, das von Hebbel abschätzig beurteilt wurde. Auch mit dem Werk Richard Wagners, dessen "Ring" erst in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts beendet wurde und der bis heute in Bayreuth in Blüte steht, wollte Hebbel nichts zu tun haben, wie sein Brief an Campe vom 10. August 1862 belegt:

Der Schriftsteller Julius Leopold Klein sei auf ihn zugetreten mit den Worten

"Kennen Sie die Nibelungen von Richard Wagner? Die müssen Sie bewundern, ich sage Sie müssen, das ist zum Niederknien und Fußküssen!" Ich antwortete: "Sie sind der Mann nicht, der mir vorzuschreiben hat, was ich bewundern soll," kehrte ihm den Rücken zu und ließ mich von der Hausfrau mit den Gästen bekannt machen.

Insgesamt war Hebbel aber mit dem Echo seiner Nibelungen-Trilogie durchaus zufrieden, wie sein Brief an Friedrich von Uechtritz vom 25. Oktober 1862 belegt:

Über dreißig Kritiken liegen bereits vor mir, darunter einige sehr große und ausführliche Abhandlungen, und alle, wie verschieden auch sonst, stimmen darin überein, dass sie die Sache ernst nehmen... Im Allgemeinen überwiegt die Anerkennung bei weitem...

Die Nibelungen waren jetzt auch schon in Berlin und Schwerin gespielt worden, andere Bühnen standen kurz davor, so auch das Burgtheater in Wien, wo Hebbel wohnte.


V. Die Wiener Aufführungen 1863 und Hebbels Tod


Dass die Nibelungen erst so spät an der damals führenden deutschen Bühne aufgeführt wurden, hat mit der Gegnerschaft ihres Direktors Heinrich Laube zu tun. Von ihm fühlten sich beide Hebbels seit Jahren vernachlässigt. Sie erfuhren erst aus der Zeitung von der Aufführung, die ein riesiger Erfolg werden sollte. Darüber hat Hebbel ziemlich ausführlich in seinen Tagebüchern geschrieben, worüber ich vor einem Jahr berichtet habe. Hier nur kurz aus einem Brief an seinen Verleger Campe vom 24. März 1863:

Wir hatten gestern ... die dritte Vorstellung der Nibelungen und diese ist hier für jedes Drama entscheidend. Nun, die Würfel sind zu unseren Gunsten gefallen, und da Sie ja Mit-Vater des Kindes sind, so werden Sie sich mit mir darüber freuen, dass es sich tapfer hält.

Die Nibelungen hielten sich jedoch nicht so lange auf der Wiener Bühne, wie Hebbel es sich gewünscht hatte, was man seinem Brief "wieder an Campe" vom 8. April entnehmen kann:

Unsere Nibelungen haben sich in der letzten (achten) Vorstellung behauptet, wie in der ersten. Ich konnte schon mittags für einen alten Freund, der plötzlich aus Galizien heraufkam, keinen Sitz mehr bekommen .... Jetzt muss das Stück ruhen .... Zwischen mir und dem Publikum steht nur der Theaterdirektor.

Hebbel war damals bereits schwer krank. Er konnte sich noch über einen Festkommers der Studenten und andere Belobigungen freuen. So wurden seine Nibelungen auf Verlangen des Hofes zur Eröffnung des Reichstages aufgeführt.
Seine Krankheit "vermutlich Rheuma oder Gicht infolge seiner entbehrungsreichen frühen Jahre" konnte auch durch schwefelhaltige Dampfbäder in Baden bei Wien nicht geheilt werden. Friedrich Hebbel starb am 13. Dezember 1863 im Alter von 50 Jahren.


VI. Die Wirkung von Hebbels Nibelungen


Auch wenn Hebbel von sich als Dichter überzeugt war und die Nibelungen für sein reifstes Werk hielt, so war ihm doch dessen Erfolg nicht immer ganz klar. In einem Brief an den Journalisten Hermann Markgraff vom 30. März 1863 scheint er um Aufklärung zu bitten:

Ist es die gesunde frische Luft, die noch aus dem alten Epos in meine Bearbeitung hinüberströmt? Erwacht in der Deutschen Nation endlich der nationale Sinn und lässt sie mit Liebe bei dem Ringen und Kämpfen der Urväter verweilen ? Ich weiß es nicht.
Die nationale Sehnsucht der Deutschen mag damals schon eine Rolle gespielt haben, die Bismarcksche Reichsgründung sollte ja keine zehn Jahre mehr auf sich warten lassen.

Aber da ist auch die Faszination des Epos, das er in seinem Brief an Sigmund Engländer vom 23. Februar 1863 vergleicht mit einem funkelnden Sternbild, dessen wunderbare Lichter und Farben er aufzufangen sucht. Einen anderen Vergleich bringt er in einem Brief aus Weimar an seine Frau vom 3. Februar 1861, als der Großherzog ihm versicherte, er sei als deutscher Fürst stolz darauf, dass solch ein Werk zu seiner Zeit entstehen konnte und er es zuerst hören durfte:

Ich erwiderte: Königliche Hoheit, ich bin hier nur der Dolmetsch eines Höheren.

Mit dem Höheren meint Hebbel den unbekannten Dichter des Nibelungenliedes.
An anderen Stellen vergleicht sich Hebbel mit einem Uhrmacher, so in seinem Schreiben an Friedrich von Uechtritz vom 3. Juli 1861:

Ich... bin ... mit einem Uhrmacher zu vergleichen, der ein vortreffliches altes Uhrwerk von Spinngeweb und altem Staub gesäubert und neu gerichtet hat.
Dass er aber diese seine Verdolmetschung oder Uhrenreinigung durchaus als große Leistung ansah, macht sein Brief an den gleichen Adressaten vom 29. Januar 1862 deutlich:
Darin stimme ich Ihnen allerdings vollkommen bei, dass ein wirkliches Epos nur durch einen dem Schöpfer ebenbürtigen Geist in ein Drama umgedichtet werden kann, aber ich halte die Nibelungen nicht für ein Epos, sondern für ein Drama in epischer Form. Darum will ich jedoch den Dünntuer nicht machen; es gehört immer noch dramatischer Blick dazu, den großen Bau ... auf seine Grundmauern zurückzuführen.

Hebbel hat sich möglichst eng an das Epos angelehnt, bis hin zur Übernahme der Löwenjagd im Odenwald; er griff nur bei so genannten "Verzahnungen" auf die Edda und Völsungensaga zurück . (So in seinem Brief an Hermann Markgraff vom 5.April 1862).

Etwas Eigenes ist bei Hebbel aber sein Schluss, der im Unterschied zum Epos, in dem nur das Leid beklagt wird, hoffnungsvoll ist: der resignierende heidnische König Etzel übergibt seine Herrschaft an den Christen Dietrich von Bern, der sie mit den Worten übernimmt:
Im Namen dessen, der am Kreuz erblich.
Dieser christliche Aspekt war für mich leider in der letztjährigen Wormser Aufführung nicht erkennbar.