Der Hort der Nibelungen auf dem Weg von Franken nach Schwaben

Hagen und der Hort in frühmittelalterlich-fränkischen Quellen, in der Fassung *B des Nibelungenlieds und im ‚Augsburger Nibelungenlied‘ (b)

von Prof. Dr. Klaus Wolf, Universität Augsburg

Hagen versenkt den Nibelungenhort, Foto: eichfelder-artworks

Der vorliegende Aufsatz versucht zunächst, Syagrius von Soissons1 als wesentliches Vorbild für die Hagen-Gestalt des Nibelungenlieds besonders im Kontext der Hortfrage zu erweisen, um anschließend auf die Eigentümlichkeiten des schwäbischen ‚Augsburger Nibelungenlieds‘ einzugehen. Es geht dabei insbesondere um das Ende des Nibelungenlieds in alter und neuerer Fassung beziehungsweise in den konkreten Handschriften B und b (‚Augsburger Nibelungenlied‘) und deren teilweise unterschiedliche Thematisierung der Gier nach dem Nibelungenhort, dessen Verbleib Kriemhilt am Ende von Hagen gewaltsam in Erfahrung bringen will. Doch der Reihe nach: Syagrius, der Spross einer vornehmen senatorischen Familie, herrschte von 464 bis 486 als letzter römischer Machthaber in Gallien über Teile des heutigen Frankreichs und Belgiens. Dafür konnte er sich neben seinen fränkischen Untertanen und Kriegern nicht zuletzt auf seine Elitetruppe der bucellarii stützen. Am Ende musste freilich Syagrius den kriegerischen fränkischen Einigungsbemühungen Chlodwigs weichen. Dieser ließ seinen Gefangenen Syagrius, der ihm vom König der Westgoten ausgeliefert worden war, mit dem Schwert hinrichten, was an Hagens Tod im Nibelungenlied erinnert. Dagegen erweisen sich andere historische Zuweisungen für die Hagen-Gestalt insgesamt eher weniger stichhaltig. So spricht sich die Forschung heute gegen Verbindungen etwa zum römischen magister militum Flavius Aetius (um 390 bis 454), obgleich Geisel und Gegner Attilas, ebenso aus wie gegen dessen gleichfalls bei den Hunnen vergeiselten Sohn und nicht zuletzt gegen diverse numinose Identifizierungen, weil sowohl für Flavius Aetius wie für germanische Gottheiten philologisch und historisch nachprüfbare Bezüge im mittelhochdeutschen Text des Nibelungenlieds nicht zu finden sind. Unpassend ist überdies, dass Aetius 436/437 das Burgunderreich auslöschte und gerade nicht Attila, was die Verhältnisse im Nibelungenlied und insbesondere Hagens Position als treuester Gefolgsmann der Burgunder auf den Kopf stellt (auch wenn man dies als sagengemäß weginterpretieren will). Ferner hat man etwa einen alanischen Chagan (ein Titel) Goar ebenso als Hagens Vorbild postuliert wie den 995 verstorbenen norwegischen Herrscher Hakon I. Beide historische Identifizierungen greifen nicht, weil sie völlig spekulativ bleiben und die Abstammung Hagens zu sehr in die europäische Peripherie verlegen. Überdies dürften Alane wie Römer als Vorbilder für den treuen Gefährten des Germanen Gunther als ethnisch zu weit hergeholt empfunden worden sein, um sich in der Nibelungenforschung als historische Grundlage der Hagen-Figur durchzusetzen. Demgegenüber böte Syagrius den Vorzug, dass er trotz römisch-senatorischer Herkunft zu nicht geringem Teil über Franken herrschte, ja sein Vater Aegidius sogar den Titel eins Rex Francorum führte, während Aetius allenfalls zu den Hunnen, nicht jedoch zu Franken engere Beziehungen unterhielt und sich überdies als starker Mann des Weströmischen Reichs und auf Augenhöhe mit Konstantinopel verstand. Auch das Bemühen, wenigstens die geographische Herkunft Hagens über seine Benennung im Nibelungenlied als von Tronege oder von Tronje zu eruieren, ist gescheitert, weil zahreiche Orte mehr oder minder gleichberechtigt die Herkunftsbezeichnung auf sich beziehen. Beispielsweise hat man die Ortsangabe im Nibelungenlied mit der Burg Troneck im Hunsrück oder mit Kirchberg im Elsass, das im Mittelalter Tronje hieß, gleichgesetzt. Auf der anderen Seite gibt es Verfechter des französichen Troies an der Seine. Aber auch das antike Troja wurde, weil sich die Franken, jedoch ebenso die Ritter des Hochmittelalters allgemein auf die Trojaner zurückführten, für Hagens Herkunft erwogen. Andere Gelehrte sahen mythische Bezüge zwischen Hagen und Hödr, dem blinden Begleiter von Baldr, oder überführten Hagen gar als Totendämon. Nicht weniger vielfältig sind die Etymologien seines Namens, die beispielsweise ein germanisches *haganaz postulieren, das einem Stier oder Eber entsprechen kann und für ein überirdisches Wesen in Tiergestalt steht. Schließlich ist auch die Ableitung von germanisch *hag in der Bedeutung ‚Dornenhecke, Umzäunung, Grenze‘ möglich, wodurch Hagens Funktion als Grenzwächter und Königsvasall umschrieben wäre. Zu diesen Aufgaben könnte auch altnordisches hagr für ‚Dienstbarkeit‘ passen.2

Vielversprechender als all diese Thesen scheint mir ein Rekurs auf die fränkische Frühgeschichte zu sein, die sich auch sonst, wie weiter unten noch ausgeführt wird, als Vorbild für das Nibelungenlied bewährt hat. In der fränkischen Chronik Fredegars erfahren wir über Syagrius, dessen Schicksal aufs engste mit Chlodwig verbunden war:

Concepit Basina et peperit filium nomen Chlodoveum. Haec fuit magnus et pugnator egregius, ad instar leoni fortissemus cyteris regibus. […] Mortuo Egegio, reliquid filium Syagrium nomen (Fredegar, III, Nr. 12). Defuncto Childerico, Chlodoveus, eiusdem filius, regnat pro eo. Anno autem quinto regni eius Syagrius Romanorum patricius apud civitatem Sexonas, quam quondam pater suos tenuerat, sedem habebat. Quem Chlodoveus cum Ragnachario inruens, Syagrius in lisum cernens exercitum, terga vertit et ad Alaricum regem Tolosa curso veloce perrexit. Glodoveus legatus ad Alaricum mittens, ut eum redderit; alioquin noverit, sibi bellum inferre. Ad ille metuens, ut Gothorum pavere mus est, Siagrium vinctum legatis tradit. Quem Ghlodoveus custodiae mancipavit, regnumque eius acceptum, eum gladium truncare precipit. Chlodoveus, eo quod esset fanatecus, ecclesias depretare permisit (Fredegar III, Nr. 15).3

Im Blick auf die Hagengestalt des Nibelungenlieds sind folgende Inhalte zentral: Dem großen Kämpfer Chlodwig stand Syagrius, Sohn des Egegius, gegenüber. Nachdem Chlodwig den ‚Patricius‘ der Römer, nämlich Syagrius, angegriffen hatte, floh dieser eilends zu Alarich nach Toulouse. Chlodwig verlangte von diesem die Auslieferung des Syagrius, was dieser, entsprechend der bekannten gotischen Feigheit, auch tat. Chlodwig ließ seinen Feind ins Gefängnis werfen und mit dem Schwert töten.

Ganz ähnlich berichtet der ‚Liber historiae Francorum’:

Franci vero, relicto Childerico, Egidium principem Romanorum in regnum super se statuerunt, malum consilium tractantes. Qui cum octo annos super eos regnaret […] In illis diebus coeperunt Franci Agripinan civitatem super Renum vocaveruntque eam Coloniam [= Colonia Ulpiana Traiana, vgl. Hagen von Tronje/Troja etc.], quasi coloni inhabitarent in eam. Multo populo Romanorum a parte Egidii illic interfecerunt; ipse Egidius fugiens evasit. […] Post haec igitur mortuus est Egidius Romanorum rex. Siagrius enim, filius eius, in regnum eius resedit; constituit sedem regni sui in Suessionis civitate. […] Post hec mortuus est Childericus rex, regnavitque annis 24. Chlodovechus, filius eius, regnum Francorum viriliter recepit. Anno autem quinto Chlodovecho regnante, Siagrius, filius Egidii, Suessionis civitate, quam pater eius tenuerat, resedebat. Super quem Chlodovechus cum Ragnachario, parente suo, cum hoste advenit. Convenientesque ad bellum, illis inter se fortiter conpugnantibus, Siagrius lesum cernens exercitum suum, per fugam lapsus, ad Alaricum regem Gothorum aufugit ad urbem Tolosam. Chlodovechus enim missos suos ad Alaricum dirigens, ut redderet Siagrium; si autem reddere non vellet, pararetur ad proelium. Ille autem timens Francorum iram, tradidit Siagrium missos Chlodovecho. Qui cum ei presentatus fuisset, iussit eum occidere, totumque regnum eius ac thesauros Chlodevechus recepit (Liber historiae Francorum, Nr. 7-9).4

Dies läßt sich dahingegehend zusammenfassen, dass die Franken nach Childerich den Römer Aegidius als ihren König erwählten. Diesem folgte sein Sohn Syagrius in der Königsherrschaft, welcher für sich Soissons als königliche Residenz bestimmte. Im Krieg mit Chlodwig und nach heftigen Zweikämpfen untereinander entschloss sich Syagrius zur Flucht. Der Gotenkönig Alarich freilich, zu dem sich Syagrius nach Toulouse geflüchtet hatte, lieferte seinen Gefangenen an Chlodwig aus. Dieser ließ den Gegner töten und erbeutete Königreich und Schätze des Syagrius. Dabei ist thesauros im Kontext der Hortthematik das Schlüsselwort.

Bei Gregor von Tours heißt es im zweiten Buch seiner ‚Fränkischen Geschichte’ über Syagrius:

His ita gestis, mortuo Childerico, regnavit Chlodovechus, filius eius, pro eo. Anno autem quinto regni eius Siacrius Romanorum rex, Egidi filius, apud civitatem Sexonas, quam quondam supra, memoratus Egidius tenuerat, sedem habebat. Super quem Chlodovechus cum Ragnechario, parente suo, quia et ipse regnum tenebat, veniens, campum pugnae praeparare deposcit. Sed nec iste distolit ac resistere metuit. Itaque inter se utriusque pugnantibus, Syacrius elisum cernens exercitum, terga vertit et ad Alaricum regim Tholosa curso veluci perlabitur. Chlodovechus vero ad Alaricum mittit, ut eum redderit, alioquin noverit, sibi bellum ob eius retentionem inferri. Ad ille metuens, ne propter eum iram Francorum incurrerit, ut Gothorum pavere mos est, vinctum legatis tradedit. Quem Chlodovechus receptum custodiae mancipare praecipit; regnoque eius acceptum, cum gladio clam feriri mandavit. Eo tempore multae aeclesiae a Chlodoveco exercitu depraedatae sunt, quia erat ille adhuc fanaticis erroribus involutus. Igitur de quadam eclesia urceum mirae magnitudinis ac pulchritudinis hostes abstulerant, cum reliqua eclesiastici ministerii ornamenta (Gregor von Tours: Historia Francorum, Liber II, Nr. 27).5

Dies lässt sich folgendermaßen paraphrasieren: Syagrius, der König der Römer und Sohn des Aegidius, residierte in Soissons. Nach Kämpfen mit Chlodwig suchte er bei König Alarich in Toulouse Schutz. Der feige Gote lieferte jedoch aus Furcht vor den Franken den Exilanten an Chlodwig aus, der seinen Feind einsperren ließ, sich dessen Königreichs bemächtigte und schließlich Syagrius mit dem Schwert zu exekutieren befahl.

Zu diesen chronikalischen Mitteilungen lassen sich in der 39. Aventiure des Nibelungenlieds, die am ausfürlichsten über den literarischen Hagen berichtet, parallele Handlungssequenzen ausmachen. Diese literarischen Referenztexte werden hier nach Handschrift B als der wohl ursprünglichsten Fassung zitiert:6

2323 Do sprach von Tronege Hagene ich sihe dort her gan
hern Dieterichen der wil vns bestan
[…]

2334 Ergip dich mir ce gisel dv vnd ovch din man
so wil ich behveten so ih aller beste chan
[…]

2337 Ich gibe iv mine triwe vnd sicherliche hant
daz ich mit iv rite heim in iwer lant
ich leit ivch nach den eren oder ich gelige tot
[…]

2340 Ia næme ich di svne sprach aber Hagene
e ich so lasterliche vze einem gademe
fluehe meister Hildebrant als ir hie habt getan
ich wæne daz ir chundet baz gein vianden stan

2341 Des antwrte Hildebrant zwiv verwizet ir mir daz
nv wer was der vf einem schilde vor dem Waskensteine saz
do im von Spanye Walther so uil der frivnde slvch
ovch habt ir noch ce zeigen an iv selben genuch

2344 Iane lovgent iv des niemen sprach Hagen <der> degen
ine wellez hie versvchen mit den starchen slegen
ezen si daz mir cebreste daz Nibelunges swert
mir ist zorn daz vnser beider ist ce gisel hie gegert

2347 Ovch vorht er Balmungen ein wafen starch genvch
vnder wilen Dietrich mit listen wider slvch
vnz daz er Hagenen mit strite doch betwanch
er slvch im eine wnden div was tief vnde lanch

2349 Den schilt den liez er vallen sin sterche div was groz
Hagenen von Tronege mit armen er besloz
des wart do betwngen von im der chvene man
[…]

2350 Hagenen bant Dieterich vnd fvrt in da er vant
di edeln kveneginne vnd gab ir bi der hant
den chvenesten recken der ie swert getrvch
[…]

2352 Do sprach der herre Dietrich ir svlt in lan genesen
edliv chveneginne vnd mach daz noch gewesen
wi wol er ivch ergezzet daz er iv hat getan
ern sol des niht engelten daz ir in seht gebvnden stan

2353 Do hiez si Hagenen fveren an sin vngemach
da er lach beslozen vnt da <niemen> sach
[…]

2358 Der herre wart gebvnden von Dietriches hant
swi chvenege nine solden liden solhiv bant
[…]

2359 Dieterich von Berne der nam in bi der hant
do fvrt er in gebunden […]

2361 Do sprach der helt von Berne vil edeles chveneges wip
ezen wart gisel mere so guter ritter lip
als ich vrowe here iv an in gegebn han
nv svlt ir di ellenden min vil wol geniezen lan

2362 Si iach si tæt iz gerne do gi her Dieterich
mit weinenden ovgen von den helden lobelich
[…]

2364 Do gie div chvneginne da si Hagenen sach
wi rehte fientliche si zv dem helde sprach
welt ir mir geben wider […]

2365 Do sprach der grimme Hagene div rede ist gar verlorn
vil edliv chveneginne ia han ich des gesworn
daz ich den hort iht zeige […]

2370 Si zoh iz von der scheiden daz chvnd er niht erwern
do daht si den recken des libes wol behern
si hvb im vf daz hovbt mit dem swerte siz ab slvch
[…]

2371 Waffen sprach der fverste wi ist nv tot gelegen
von eines wibes handen der aller beste degen
der ie chom ce stvrme oder ie schilt getrvch
swi vient ich im wære ez ist mir leide genvch

Die zuvor zitierten chronikalischen Quellen zur fränkischen Geschichte sind mit der 39. Aventiure gut vergleichbar, jener Schlussaventiure nämlich, die im Handlungskern die Überwältigung, Gefangennahme und Tötung Hagens schildert, welcher bis zuletzt die Herausgabe des Horts verweigert. Dabei ist neben Kriemhilt der gotische Krieger Dietrich als prägender, freilich im Grunde gar nicht persönlich verfeindeter, sondern sogar durchaus wohlwollender Antipode Hagens in der 39. Aventiure anzusehen (wie ja Syagrius auch beim Goten Alarich zunächst erfolgreich um Exil nachsuchen konnte). In der letzten Aventiure des Nibelungenlieds zeigt sich im einzelnen Hagen (alias der rex romanorum Syagrius, Sohn des rex francorum (H)Egegius) als der zuerst ganz unköniglich Gefesselte, während die Fesselung Gunthers im Nibelungenlied als (sekundäre, literarkritisch aufschlussreiche Ungereimtheiten und Widersprüche7 erzeugende) Doppelung erscheint, die ohne historische Parallelen ist, da der dazu ins Feld geführte Burgundenkönig Gundaharius auf dem Schlachtfeld fiel.8 Dagegen stimmen die fränkischen Geschichtsquellen und das Nibelungenlied in einer Weise derartig überein, dass sich völlig ungezwungen eine älteste Sage um das Schicksal des Frankenkönigs oder zumindest königgleichen Syagrius als Exulant am Gotenhof postulieren lässt, der schließlich doch aus Feigheit gefesselt von den Goten (Alarich beziehungsweise Dietrich/Theoderich) dem fränkischen Feind überantwortet, (hinterrücks) mit dem Schwert ermordet und seines Hortes (thesauros) beraubt wird. Denn die Szene der Enthauptung Hagens „gehört bekanntlich der ältesten Sagenschicht an“. 9 Jedenfalls passt – wie bereits erwähnt – das tragische und zugleich schmähliche, nicht zuletzt durch den Merowinger Chlodwig verschuldete Schicksal des Syagrius durchaus zu jenen der Nibelungen-Forschung hinreichend bekannten Machenschaften der Merowinger Brunichildis und Fredegunde samt Sigibert, die anerkanntermaßen die Kabalen im Nibelungenlied antizipierten.10 Die hier von mir postulierte fränkische Hagen-Syagrius-Sage kann dann auf dem Weg zum Nibelungenlied11 die historischen ‚Tatsachen‘ wirkungsvoll dramatisieren, wenn aus dem feigen Goten Alarich der tieftraurige Gote Theoderich oder Dietrich wird, der ‚mit weinenden Augen‘ den Gefangenen seinem Feind ausliefert.

Die genannten Beobachtungen zu Parallelen zwischen den zitierten fränkischen Geschichtsquellen und der literarischen Hagen-Gestalt sind so evident, dass sie zu einem noch eingehenderen Vergleich von chronikalischen Berichten zur fränkischen Geschichte mit der letzten Aventiure des Nibeluungenlieds einladen. Denn Syagrius als Sohn eines rex Francorum war ein besonders gefährlicher unter den vielen Feinden Chlodwigs, weil er der Machtübernahme der Merowinger-Dynastie im Wege stand. Sygrius floh schließlich, von Chlodwig besiegt, zu den Goten und bat dort um Asyl. Er wurde jedoch gefangengenommen und ausgeliefert, wobei der Gotenkönig Alarich – nach Ausweis der fränkischen Quellen – eine wenig rühmliche Rolle spielte, die im Nibelungenlied aber in der Gestalt des Dietrich von Bern alias Theoderich der Große ins Tragische vertieft ist. Dass der Staatsschatz des Syagrius offenkundig Begehrlichkeiten beim Merowinger Chlodwig weckte und dass Syagrius seines Schatzes beraubt wurde, ist in der Hortverweigerung (weniger im Hortraub) durch Hagen im Nibelungenlied gespiegelt, wobei dort wieder einmal Hagen und nicht Gunther am Ende gegenüber Kriemhilt die entscheidende Rolle spielt.12 Deshalb gehören die Gunther-Strophen auch nicht zum Handlungskern der 39. Aventiure des Nibelungenlieds. Sie können – wie oben geschehen – weggelassen werden, ohne dass der Handlungsfluss dadurch beeinträchtigt wäre. Hier wäre auch zu beachten, dass hort und Hagen staben, nicht jedoch Gunther und hort. Entscheidend ist überdies im lateinischen wie mittelhochdeutschen Text die Todesart, nämlich die Ermordung eines Wehrlosen durch das (als Waffe jedoch ehrenvolle) Schwert (und eben nicht durch Gift oder Tod durch Blutsturz in der Hochzeitsnacht oder gar in einer Schlangengrube), welche gleichermaßen Syagrius wie Hagen betraf. Zudem ist es von Belang, dass die – in romantischer Terminologie – Dingsymbole, wenn nicht gar Leitmotive des Nibelungenlieds, die beide Epenhälften überspannen, Hort und Schwert (Balmung) nämlich, gleichermaßen mit Syagrius wie Hagen zusammenzubringen sind. Dabei sind für die dramatische Schluss-Szene des Nibelungenlieds unschwer Hagen mit Syagrius und der Gotenkönig Dietrich von Bern mit dem (freilich aus fränkischer Perspektive wenig heroisch gezeichneten) Gotenkönig Alarich identifizierbar. Somit geht Hagen historisch auf Syagrius von Soissons zurück, der sich senatorischer Herkunft rühmen durfte. Dies machte ihn aber im Frankenreich keineswegs zu einem Fremdkörper, wie die (mit den Karolingern versippte) Agilolfinger-Dynastie lehrt, bei der es sich um eine fränkische Dynastie mit romanischen (senatorischen) Wurzeln handelte.13 Weiter würde damit insgesamt gesehen die Hagen-Gestalt historisch auf die Frühphase der Merowinger-Dynastie bezogen werden. Dies fügt sich gut zu schon bislang bekannten Bezügen des Nibelungenlieds auf mörderische Kabalen der Merowinger, wodurch sich Siegfried, Brünhild und Kriemhild auf das fränkische Frühmittelalter zurückführen lassen. Übrigens wären dann auch die berühmten gentilia carmina, an denen sich Karl der Große gemäß seines Biographen Einhard erfreute, mit dem Chlodwig-Gegner (und Sohn des rex Francorum Aegidius) Syagrius-Hagen ebenso treffend in der eigenen fränkischen Stammes- oder Volkssage verortet wie Sigibert-Siegfried und Brunichildis-Brünhild/Kriemhilt.14 Sogar ein burgundischer König Gunther ist über die burgundische Prinzessin Chrodechilde, die Gemahlin Chlodwigs, an die Franken ansippbar. Nicht zuletzt erfreute sich Theoderich der besonderen Verehrung Karls, weshalb dieser Gote (als Dietrich) gut in ein Heldenlied zum Ende Hagens passen würde. Hagen stünde für das Nibelungenlied somit quellenmäßig nicht mehr jenseits der von der Nibelungenforschung ausgemachten bisherigen Anknüpfungspunkte der wichtigsten heldenepischen Figuren mit Merowingerdynastie und Burgundengeschlecht. Dabei fällt ja sofort ins Auge, dass Hagens Name nur schlecht mit Gunther, Gernot und Giselher stabt, dagegen (als frikativer Guttural) durchaus mit Chlodwig. In dessen kriegerischer Vita kann man nicht wenige Bezüge zu Gestalten und Begebenheiten des Nibelungenlieds entdecken. So heiratete Chlodwig mit Chrodechilde die Tochter eines burgundischen Königs (Chilperich II.), dessen Sippe auch ein Sigismund angehörte. Ferner führte Chlodwig Krieg gegen den Burgunderkönig Gundobad, dem der Merowinger im Namen von dessen Bruder Godegisel entgegentrat. Ebenso bekriegte Chlodwig die Rheinfranken unter Sigibert von Köln, der mit Wissen Chlodwigs durch seinen Sohn Chloderich ermordet wurde. Nicht auszuschließen ist, dass die genannten Burgunder mit Siegfried und vor allem mit Gunther und Giselher im Nibelungenlied eine Auferstehung feiern, ebenso der Rheinfranke Sigibert. So wären in der Summe neben Hagen-Syagrius wesentliche Gestalten des Nibelungenlieds ursprünglich Zeitgenossen König Chlodwigs gewesen.15 Dem Einwand, dass ein Römer16 wie Syagrius nur schwer zu einem germanischen Helden wie Hagen passe, lässt sich begründet entgegenhalten, dass ebenfalls versucht wurde, die Hagen-Gestalt mit einem anderen, freilich wesentlich früher historisch zu verortenden Römer zu verbinden, denn historische Anknüpfungen17 für Hagen hat man in der Tat schon längst mit dem patricius Romanorum Aetius versucht, der wie Hagen Geisel und Gegner (jedenfalls zeitweilig) der Hunnen war. Auch er ist freilich wie Syagrius alles andere als ein Germane, nur führt seine Gestalt noch tiefer zurück in die Vergangenheit des Imperium Romanum als Syagrius. Andererseits kann für die Syagrier-Sippe wie bei Aetius sogar enge Fühlungnahme mit dem Burgundischen nachgewiesen werden.18 Von daher scheinen auch die beliebten Identifizierungen Hagens mit germanischen (und ebenso keltischen) Gottheiten kaum viel versprechend.19 Besser wäre es vielmehr, auch die nordischen Quellen ein wenig gegen den Strich zu lesen. So erscheint dann das Adlerwappen in der ‚Thidrekssaga‘20 durchaus römisch, wenn man denn die entsprechenden Hinweise der Saga überhaupt für alt halten will. Im Nibelungenlied mag man mit der auch sonst bei der Hagen-Forschung ausgiebig beigezogenen Phantasie in Kriemhilts Falkentraum und mehr noch in den beiden Adlern (ar ist übrigens hapax legomenon21 im Nibelungenlied) römische Reste der Legionärsadler sehen. Der Falke freilich ist demgegenüber ein junges Motiv der höfischen Kultur um 1200.22

Nicht unwichtig ist für die Hagen-Gestalt als weiterer Quellentext auch das Waltharius-Epos, besonders ‚Waltharius‘, V. 629: genitorem imitaris Hagathien ipse.23 Dabei ist Hagathien als dezidiert nicht-oberdeutsche, vielmehr fränkische Namensform24 zu deuten, was zum rex Francorum Aegidius passt. Hagen erscheint hier im ‚Waltharius‘ als Sohn des Hagathius, woraus die ältere Forschung Gleichsetzungen wie Aetius/Agathius/Aegidius vorgenommen hat. Ähnlich ist zumindest die Geiselhaft bei den Hunnen, die der spätere magister militum Aetius wie der Hagen des ‚Waltharius‘ erdulden mussten.25 Aber sowohl Syagrius wie Aegidius waren magister militum wie rex Romanorum und Francorum, hatten somit auch germanischstämmige fränkische Untertanen. Im ‚Waltharius‘ wird Hagen überdies mir der fränkischen Trojasage in Verbindung gebracht, wonach die Franken von den Trojanern abstammen sollen, was sich auch in der Namensform Hagen von Troja manifestiert.26 Deshalb sind die Herkunftsbezeichnungen von Tronje oder Tronegere letztlich auf das älteste (merowingerzeitliche) fränkische Hagen von Troja beziehbar, wobei ja der Römer Syagrius über die ‚Aeneis‘ letztlich auch von den Trojanern abstammt. Zudem ist die merowingerzeitliche Namensform Hagen von Troja vielleicht auch weniger alt als die in Nibelungenlied und ‚Thidrekssaga‘ begegnende Bezeichnung Aldrians Sohn.27 So heißt es im Nibelungenlied in Strophe 1536 (B):28 Dô sprach daz ander merewîp, die hiez Sigelint: ich will dich warnen, Hagene, daz Aldrîânes kint […]. Dabei wir mit dem merewîp eine archaische Sphäre anzitiert, wozu die auch in der ‚Thidrekssaga‘ begegnende Bezeichnung Hagens als Aldrians-Kind passt. Vergleichbar mit der Personenkonstellation der 39. Aventiure sowie der eben zitierten Strophe 1536 sind die Strophen 1744 bis 1754 (in B), die ebenfalls von der Aldrians-Kindschaft Hagens wissen.29 Dort erscheinen auch Hagen und Dietrich von Bern eng verbunden, während Gunther sogar fast völlig ausgeblendet bleibt. Zunächst gibt Kriemhilt ihrer Verärgerung wegen Dietrichs Warnung an Hagen Ausdruck, was wegen des Reims auf eine Nebensilbe alter Bestand des Nibelungenlieds sein muss: si sint gewarnôt. / Und wesse ich, wer daz taete, der müese kiesen den tôt. Kriemhilt hält sich jedoch vorläufig aus Furcht vor Dietrich zurück (Strophe 1746 B), während sich Dietrich und Hagen (und eben nicht Gunther) in die Arme fallen (Strophe 1747 B), was Etzels Neugier weckt (Strophe 1748-1749 B), die ein Kriemhilde man teilweise stillen kann: er ist geborn von Tronege. Sin vater hiez Aldrîân (Strophe 1750 B). Dies wiederum aktiviert Etzels Erinnerung (Strophen 1752-1754 B), der nun Aldrians und Hagens als bewährter Gefolgsmänner gedenkt, ebenso Walthers, was wiederum die Brücke zum ‚Waltharius‘ und der dortigen Hagen-Gestalt schlägt. All diese hier angeführten patronymen Hagen-Strophen kennt natürlich auch das Nibelungenlied der C-Fassung. Während aber in der B-Fassung Hagen als Sohn des Aldrian genannt wird, erscheint er in der Fassung C dann gar zu Adrian romanisiert oder latinisiert.30 Dabei darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass die freilich wohl jüngere C-Fassung überlieferungsgeschichtlich als die erfolgreichste Version des Nibelungenlieds anzusehen ist.31 Insgesamt aber erscheint eine lateinisch-romanische Herkunft Hagens (Syagrius) zumindest (in den Augen des mittelalterlichen Lesers der C-Fassung) nicht unwahrscheinlicher. Offensichtlich hatte der mittelalterliche C-Redaktor auch als Zeitgenosse noch lebendigen Heldenliedgesangs oder einer nibelungischen oral poetry32 keine Probleme mit der romanisch-klerikal klingenden Namensform Adrian, wobei jedoch die Aldrian-Form der B-Fassung und der ‚Thidrekssaga‘ die ältere gewesen sein dürfte. Die in letzterem Werk genannte Elbensohnschaft Hagens (zu ältestem Albrian?33), die sich vielleicht im Nibelungenlied in seinen seherischen Fähigkeiten bezüglich Siegfried, der Zukunft oder den merewîp zeigt, erfährt in der Saga Ergänzung durch eher südländische Züge (schwarze Haare, große Nase, buschige Brauen und dunkler Bart), was zum dezidiert nicht germanischen Syagrius passen könnte. So nennt die ‚Thidrekssaga‘ etwa Hagens har suart.34 Methodisch muss jedoch im Bewusstsein gehalten werden, dass dem Nibelungendichter diese Informationen der ‚Thidrekssaga‘ keineswegs bekannt gewesen sein mussten.35 Fest steht dagegen, dass die Gestalt des Syagrius historisch in die Anfänge des Frankenreichs führt, wo schon Andreas Heusler die Ursprünge des Nibelungenlieds verortete.36 Sprachlich ist der Name Hagen sogar durchaus von Syagrius ableitbar, wenn die im Lateinischen sprachlich betonte Antepaenultima -ag- sich verselbständigt, was so im Ostgermanischen (vgl. Alarich in den oben zitierten fränkischen Quellen) mit anlautendem Ag- ein üblicher Namensbestandteil ist und im fränkischen eine Entsprechung mit anlautendem velaren Frikativlaut hat.37 Ist somit die Gleichsetzung des literarischen Hagen mit dem historischen Syagrius sprach- und ereignisgeschichtlich einigermaßen plausibel begründet, so wäre darauf aufbauend zu fragen, wieso der Römer Syagrius ein im Vergleich zum Römer Aetius besseres geschichtliches Vorbild für Hagen sein soll. Immerhin sprechen für Flavius Aetius als historisches Urbild Hagens eine Reihe gewichtiger Gründe: Der magister militum Aetius wie sein Sohn Carpilio waren Geiseln am Hunnenhof. Der Heermeister bekämpfte Attila, aber er bediente sich auch Attilas für innerrömische Konflikte, nutzte dementsprechend hunnische Söldner für eigene Zwecke, ja knüpfte mit dem Hunnen Ruga freundschaftliche Bande, die sich für Geschichtsschreiber auf den Begriff amicitia bringen ließen. Nicht auszuschließen ist, dass im Nibelungenlied diese aufgeschlossene Hunnenpolitik des Aetius, die von Ruga und anderen erwidert wurde, im anfänglichen Wohlwollen Etzels Hagen gegenüber gespiegelt ist.38 Hinzu kommt, dass Gallien eine wesentliche Machtgrundlage für Aetius darstellte, eben jenes Gallien, das auch zum Nukleus des Frankenreichs der Merowinger wurde. Schließlich bediente sich Aetius – analog der respektvollen, um nicht zu sagen freundschaftlichen Beziehung zwischen Hagen und Dietrich von Bern im Nibelungenlied – auch eines Dietrich als Verbündeten, nämlich des (in Südgallien residierenden) Westgotenkönigs Theoderichs I. als (zunächst freilich unentschossenen) Kampfgefährten gegen Attilas Hunnen. In der für Attila verhängnisvollen (bezüglich ihres genauen Ablaufs allerdings umstrittenen) Schlacht auf den Katalaunischen Feldern kämpften Franken, die als Stamm für die Genese des Nibelungenstoffs eine wichtige Rolle spielen, sowohl auf Seiten Attilas wie auf Seiten des Aetius.39 Auch wenn die historisch deutliche Verbindung des Aetius zu Attila, den Hunnen und Burgundern dazu beigetragen haben mag, dass einzelne Züge seiner Biographie auf Hagen übergingen, spricht in der Summe für die ätiologische Priorität des Syagrius bezüglich Hagen dessen erheblich engere Bindung an die fränkische Geschichte und die Ereignisse um Chlodwig sowie die Merowingerdynastie (von der Aetius zeitlich deutlich getrennt ist). Einzigartig ist die passgenaue Entsprechung von Exil bei einem Goten, schmählicher Gefangensetzung, Ermordung mit dem Schwert und Hortmotiv, die sich so eben Punkt für Punkt und in genau dieser Konstellation bei Syagrius und Hagen (39. Aventiure) findet, aber nicht bei Aetius. Jedenfalls ist das nibelungische Leitmotiv des Horts bei Aetius ohne Entsprechung. Die genaue Übereinstimmung der Todesumstände bei Syagrius und Hagen scheint mir das entscheidende Argument für die größere Bedeutung des Syagrius als historisches Hagen-Vorbild im Gegensatz zu Aetius. Ebenso halte ich mit dem Wissen um die Verknüpfung Syagrius-Hagen an der schon immer beobachteten prägenden Bedeutung der fränkischen Ursprünge des Nibelungenlieds fest, wobei historisch die Franken sowohl Burgunder wie Römer und ebenso Westgoten im ehemaligen Gallien besiegt beziehungsweise integriert haben. Von daher können auch Sagen der Burgunder, die um Attila und Aetius und die durch beide zugefügten Niederlagen kreisten, später bei den Franken ihren Heldenliedern integriert worden sein.40 Damit wären in die Hagen-Gestalt des Nibelungenlieds nicht nur Züge des Aetius, sondern eben auch, wenn nicht sogar in stärkerem Maße, des Syagrius eingegangen, wobei es sich bei beiden um Römer handelte, die in Gallien, dem ursprünglichen Kernland des Merowingerreichs, agierten. Wegen dieser geographischen Koinidenz ist es auch vorstellbar, dass biographische Details von Aetius wie Syagrius gleichermaßen zur Hagen-Gestalt der Sage verschmolzen.

Gerade die mit Aetius und Syagrius aufscheinende zweifache und damit heterogene historische Herkunft Hagens fügt sich nun gut ins Bild zu älteren Beobachtungen Walter Haugs bezüglich der Hagen-Figur: „Hagen ist die wohl die am schwersten zu deutende Figur des Werkes. Es überlagern sich in ihm in besonderer Weise mehrere Schemata. Er ist zunächst der einzige, der sich weigert, die höfische Form zu einem bloßen Mittel gesellschaftlicher Versöhnung zu machen; er akzeptiert die Rollenhaftigkeit der gesellschaftlichen Existenz nicht. Er steht damit gewissermaßen noch auf dem alten heroischen Standpunkt. […] Wirklich glaubhaft gemacht wird das alte Motiv jedoch von einer jüngeren Thematik her, durch die die Hagen-Figur im Laufe ihrer Geschichte überformt worden sein muß: es ist die Thematik des treuen Vasallen, die vermutlich aus der französischen Chanson de geste-Tradition stammt.“41 Diese Tradition aber führt geographisch nach Westen, nach Frankreich, oder historisch gefasst: letztlich auf den Boden des alten Gallien, wo auch schon Aetius und Syagrius als Kriegsherren wirkten. Damit erhielt die literarische Hagen-Gestalt ihre Prägung im heutigen Frankreich. So wäre im Detail die Hagen-Figur in zwei historischen Heerführern der gallischen Spätantike wie in literarischen Traditionen der altfranzösichen Epik begründet. Gleichwohl dürfte bezüglich der spätantik-römischen Heerführer der Anteil des Syagrius, von der letzten Aventiure des Nibelungenlieds aus betrachtet, entscheidender an der Genese der Hagen-Gestalt beteiligt gewesen sein. Hält man weiter aus all den genannten Gründen an der Gleichsetzung von Syagrius und Hagen fest, dann ergibt sich nachstehende literaturgeschichtliche Folgerung, wonach das Nibelungenlied historisch mit der Hagen-Gestalt einen wesentlichen Handlungsträger der Konkursmasse des römischen Reichs zu verdanken hätte. Dabei befindet sich Syagrius-Hagen in bester Gesellschaft, wenn man ihn mit Artorius-Artus vergleicht. Syagrius wie Artorius wären gleichermaßen als selbständig agierende ‚letzte Römer‘ anzusprechen, die in den Wirren der Völkerwanderungszeit zu legendären oder (gattungsgeschichtlich besser:) sagenhaften Heerführern aufstiegen sowie in ihrem zuletzt tragischen Tun selbst zum Mythos und Gegenstand der hochmittelalterlichen höfischen Literatur wurden. Von daher ist eine Geburt der volkssprachigen Literatur Frankreichs und Deutschlands aus den Resten des römischen Reichs durchaus postulierbar, wenn Artorius-Artur als Bestandteil der Geschichtsschreibung und als literarische Gestalt im Artusroman bei Chréstien de Troyes und Hartmann von Aue lebendig wird.42 Dazu passend erscheint Syagrius-Hagen als verbindende Gestalt beider Teile des Nibelungenlieds, als Protagonist in ‚Kudrun‘43 und ‚Waltharius‘ sowie im ‚Rosengarten‘.44 Hagen wird so insgesamt im deutschsprachigen Raum so zur verbindenden Zentralgestalt in wichtigen Vertretern der Gattung45 Heldenepik. Mit der hier allerdings romanisierten Hagen-Syagrius-Figur, mit ihrer letztlich französischen Provenienz (Soissons) könnte einerseits – wie dies Joachim Heinzle46 oft getan hat – erneut eine Abkehr vom Konzept des deutschen „Nationalepos“ Nibelungenlied postuliert werden, andererseits ist die Ethnogese der Deutschen, ebenso die Ethnogenese etwa der Baiern, schon längst vom Germanenmythos des 19. Jahrhunderts befreit.47 Im Herzogtum Baiern aber lässt sich die Begeisterung für den Nibelungenstoff über die Namensgebungen in Adelssippen, darunter die mit Pilgrim verwandten Huosi, früh beobachten.48

Was aber Schwaben anbelangt, so gibt es gar eine eigene Version des Nibelungenlieds, die nicht nur als einzige durchgehend bebildert ist, sondern in Bildprogramm und letzter Textredaktion sogar eindeutig nach Augsburg in der vornehmen Gossembrot-Familie zu lokalisieren ist. Dabei weist der Text für die hier interessierende letzte Aventiure, Kriemhilts Hortforderung und die Ermordung Hagens sowie Kriemhilts Tötung durch Hildebrand, charakteristische Abweichungen vom B-Text auf. Gerade die Goldgier Kriemhilts wird im schwankhaften Sondergut (also in der B-Fassung nicht vorhanden) des ‚Augsburger Nibelungenlieds‘ besonders betont, wobei Kriemhilt Hildebrands Schwerthieb zunächst nicht bemerkt und sich gierig nach einer hingeworfenen Münze bückt, worauf die Königin entzwei bricht, was man in einem Augburger Nibelungenlied als indirekten und recht burlesken Hinweis auf den bekannten Geiz der Schwaben (miss-) verstehen könnte:

Das schwert daz schnaid so drate, daz sy sein nit empfant,
daz sy het gerüret vnsanft. sy sprach ze hant:
„Dein waffen ist verplawen. du solt es von dir legen.
es zimpt nicht wol ze tragen aim als zierlichen degen.“
Da zoch er von dem vinger ain ring rot guldein.
er warf ir in für die füsse. er sprach: „hebt ir daz vingerlein
Auf von der erden, so habt ir war, edel wip.“
sy naigt sich nach dem gold. da viel enzway ir werder leib.49

1 Vgl. dazu Penny MacGeorge: Late Roman Warlords, Oxford 2002. – Ein guter Überblick bei Herwig Wolfram: Die Germanen. 9., überarbeitete Auflage. München 2009, S. 106-115.

2 Eine Zusammenstellung der neueren Forschung bei Claudia Brinker-von der Heyde: Hagen – ein Held mit vielen Gesichtern!, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 51 (1999), S. 105-124.

3 MGH. Scriptores Rerum Merovingicarum. Tomus II. Fredgarii et aliorum chronica. Hannover. 1878, S. 97-98.

4 MGH. Scriptores Rerum Merovingicarum. Tomus II. Fredgarii et aliorum chronica, Hannover. 1878., S. 248-251.

5 MGH. Scriptorum rerum Merovingicarum. Tomi I. Pars I, Hannover 1884, S. 88.

6 Zitiert im folgenden nach der Transkription von B durch Hermann Reichert (Universität Wien), die im WWW zur Verfügung gestellt ist: Transskription der Handschrift B durch Hermann REICHERT: https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/12Jh/Nibelungen/nib_b_00.html.

7 Einen deutlichen Hinweis auf verschieden alte Textschichten liefern literarkritisch zu eruierende und zu nützende Widersprüche, nur dass ich gestützt auf den ätiologischen Zusammenhang Hagen-Syagrius, anders als Johnson, die Tötung Hagens/Högnis für primär und Gunthers/Gunnars für sekundär halte: „Die Themen der Rache und der Verweigerung des Hortes waren vom Dichter auf lange Sicht vorbereitet. Aber überzeugt es oder schlägt die Struktur doch an anderer Stelle leck? Fragwürdig wird nunmehr die Logik der Handlungsweise Hagens, durch die er den Tod Gunthers herbeiführt, dem er mit blinder Treue immer diente. Auch hier gibt es erzählgenetische Abhilfe: In der ‚Atklakvida‘ stirbt als letzter Gunnar, der Atli den Hort verweigert, bis er das Herz Högnis vor sich sieht. Warum kehrt das ‚Nibelungenlied‘ die Reihenfolge um? Der Gunnar der ‚Atlakvida‘ ist nicht der schwache des ‚Nibelungenlieds‘. Hält Hagen, der durch Prophezeiung des Meerweibs (Str. 1574) weiß, daß keiner lebend davonkommt, diesen Gunther für nicht ganz zuverlässig? Zieht er es daher vor, selbst als letzter Hüter des Horts Kriemhilds Rache zu verfallen oder verlangt es die künstlerische Symmetrie der Rache für die Ermordung Siegrieds?“ Vgl. L. Peter Johnson: Die höfische Literatur der Blütezeit (1160/70-1220/30) (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit II/1), Tübingen 1999, S. 302. – Nach meiner Überzeugung kehren dagegen die nordischen Textquellen die ursprüngliche Reihenfolge um. Schon das nordische Bildmotiv von Gunnar in der Schlangengrube muss nicht einmal besonders alt sein, sondern dürfte sich jüngster, christlicher Vermittlung verdanken; Sigmund Oehrl: Zur Deutung anthropomorpher und theriomorpher Bilddarstellungen auf den spätwikingerzeitlichen Runensteinen Schwedens (Wiener Studien zur Skandinavistik 16), Wien 2006, S. 6, 73-74, 107-111 u. ö.

8 Vgl. Ursula Schulze: Das Nibelungenlied (Universal-Bibliothek Literaturstudium 17604), Stuttgart 1997, S. 60-62.

9 Vgl. Joachim Heinzle: Gnade für Hagen? Die epische Struktur des Nibelungenliedes und das Dilemma der Interpreten, in: Nibelungenlied und Klage. Sage und Geschichte, Struktur und Gattung, hg. von Fritz Peter Knapp, Heidelberg 1987, S. 257-276, hier S. 258.

10 Vgl. den Überblick bei Otfried Ehrismann: Das Nibelungenlied, München 2005, S. 15-16.

11 Zur Möglichkeit von Vorgängerdichtungen des Nibelungenlieds vgl. Joachim Heinzle: Die Nibelungen. Lied und Sage, Darmstadt 2005, S. 50-51.

12 „Hagen tritt aus dem Schatten der burgundischen Könige hervor, da er nach der Annahme der Einladung an den Hunnenhof den Untergang für unvermeidlich hält. Seine Provokationen bestimmen nun das Geschehen am Hof Etzels, und er führt die Regie des Untergangs“, so Hans-Jochen Schiewer: Modernisierungen und Popularisierungen. Der Nibelungenstoff vom 12. bis zum 21. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes. 56 (2009), S. 437-458, hier S. 446.

13 Vgl. die immer noch grundlegende Darstellung zu Bayerns ältestem Herrscherhaus durch Jörg Jarnut: Agilolfingerstudien. Untersuchungen zur Geschichte einer adligen Familie im 6. und 7. Jahrhundert (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 32), Stuttgart 1986, hier besonders S. 92.

14 Vgl. ausführlich dazu Wolfgang Haubrichs: Die Anfänge. Versuche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (ca. 700-1050/60). 2., durchgesehende Auflage (Geschichte der deutschen Literaur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit I/1), Tübingen 1995, S. 106-114.

15 Vgl. Klaus Rosen: Die Völkerwanderung. 4., durchgesehene Auflage, München 2009, S. 82-88. – Vgl. Kay Peter Jankrift: Das Mittelalter. Ein Jahrtausend in 12 Kapiteln, Ostfildern 2004, S. 74-78. – Vgl. Karl Bosl: Europa im Mittelalter. Weltgeschichte eines Jahrtausends (Sonderausgabe),Wien 1970, S. 56-71.

16 Die Römer spielen seit jeher in der Nibelungen-Forschung eine große Rolle: Populär ist die These, dass Arminius-Siegfried den römischen Legionärs-Drachen im Teutoburger Wald besiegt habe, was als wesentliche Grundlage des Nibelungenlieds zu gelten hätte; vgl. Otto Höfler: Siegfried, Arminius und der Nibelungenhort (Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 332), Wien 1978.

17 Zum Verhältnis von Heldenepik und historischer Überlieferung vgl. grundsätzlich Jan-Dirk Müller: Das Nibelungenlied. 3. neu bearbeitete und erweiterte Auflage (Klassiker-Lektüren 5), Berlin 2009, S. 19-29. – Vgl. auch Cordula Kropik: Reflexionen des Geschichtlichen. Zur literarischen Konstituierung mittelhochdeutscher Heldenepik (Jenaer Germanistische Forschungen. Neue Folge 24), Heidelberg 2008.

18 Durch Sidonius Apollinaris wird das Burgundische „um 470 als eigenständige Sprache bezeugt“, welche „Syagrius, ein römischer Senator, lernen“ könne. Vgl. Wolfgang Haubrichs: Ein namhaftes Volk – Burgundische Namen und Sprache des 5. Und 6. Jahrhunderts, in: Die Burgunder. Ethnogenese und Assimilation eines Volkes, hg. von Volker Gallé, Worms 2008, S. 135-184, hier S. 165-166.

19 Vgl. die reichlich spekulative Arbeit von Norbert Lönnendonker: Als die Götter noch jung waren. Namenkundliche Untersuchungen zur Nibelungensage, Berlin 2003.

20 Vgl. zu den Adlerwappen Hagens und Gunthers (gekrönter Adler) und zu Kriemhilts Falkentraum den Kommentar von Siegfried Grosse: Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert (Universal-Bibliothek 644), Stuttgart 1997, S. 733-734.

21 Vgl. die Vokabelstatistik von Hermann Reichert: Konkordanz zum Nibelungenlied nach der St. Galler Handschrift. Band 1 (Philologica Germanica 27/1), Wien 2006, S. 25.

22 Vgl. dazu Sigrid Schwenk: Höfische Jagd, in: „Uns ist in alten Mären…“. Das Nibelungenlied und seine Welt, hg. von der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe und dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe, Darmstadt 2003, S. 110-118, wonach die Bärenjagd im Nibelungenlied im Vergleich zur Falkenjagd, die in ‚De arte venandi cum avibus‘ Friedrichs II. thematisiert wird, archaischeren Charakters sei. – Zum Falken als Motiv des dem Nibelungenlied benachbarten donauländischen Minnesangs (Kürenberger, Dietmar von Aist) vgl.: Früheste deutsche Lieddichtung. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Horst Brunner (Universal-Bibliothek 18388), Stuttgart 2005, S. 34-37, 84-85, 199, 215.

23 Waltharius and Ruodlieb, edited and translated by Dennis M. Kratz (Garland Library of Medieval Literature A 13), New York and London 1984, S. 32. – „Im Waltharilied heißt Hagens Vater ‚Hagathien’ oder ‚Agacien’”, ebenso sei dort „die Herkunft Hagens, wie die Abstammung der sigambrischen Merowingerkönige des Frankenreiches, vom alten Trojerstamm abgeleitet”; ferner nenne Walther von Aquitanien, nachdem er Hagen „beim Kampf am Wasgenstein ein Auge ausgeschlagen hat, scheeler Sigamber“; all dies seien „Argumente für die merowingische Abstammung des Hagen von Troja“; so Norbert Lapp: Faszination Nibelungen. Karolingerzeit – Nibelungenzeit, Frankfurt am Main 2005, S. 155. – Für Mario Bauch: Wer waren die Nibelungen wirklich? Die historischen Hintergründe der germanischen Heldensagen, Berlin 2006, S. 394 sei der „Name Hagathie“ (für „Hagens Vater“ im „Walthariusepos“) als „Ableitung von Egetius oder Aegidius“ aufzufassen. So aber hieß nach den fränkischen Geschichtsquellen der Vater des Syagrius, was bisher offenbar niemandem im Kontext mit Hagen aufgefallen ist.

24 Vgl. die neuere Arbeit von Gustav Adolf Beckmann: Gualter del Hum – Gaiferos – Waltharius (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 359), Berlin/New York 2010, S. 134-135, Anm. 42.

25 Vgl. schon Richard Heinzel: Ueber die Nibelungensage. Wien 1885, S. 4-5: „Hagen und Aetius haben bei den Hunnen gelebt, Waltharius, Nibelungenlied, Thidreksaga, – beide als Geiseln und in jungen Jahren, Aetius auch als Gesandter, später einmal fast als Flüchtling, – als Geisel auch Aetius‘ Sohn Carpilio […] Auch der Name, nicht Hagens, aber seines Vaters Hagathie Waltharius 629 könnte eine Umdeutschung des für Aetius wiederholt gebrauchten Agetius, Agitius, Aegidius sein. Der Name Haguno wäre dann im Hinblick auf den Namen des Vaters gewählt“.

26 Vgl. schon Roswitha Wisniewski: Die Darstellung des Niflungenunterganges in der Thidrekssaga. Eine quellenkritische Untersuchung (Hermaea 9), Tübingen 1961, S. 254-255.

27 Vgl. zu Aldrian in der Thidrekssaga Ulrich Müller [u. a.] (Hg.): The Nibelungen Tradition. An Encyclopedia. New York and London 2002, S. 50.

28 Zitiert nach: Das Nibelungenlied. Nach der St. Galler Handschrift herausgegeben und erläutert von Hermann Reichert, Berlin/New York 2005, S. 219.

29 Vgl. die Ausgabe von Reichert, 2005 (wie Anm. 28), S. 243-244.

30 Vgl. Das Nibelungenlied nach der Handschrift C herausgegeben von Ursula Hennig (Altdeutsche Textbibliothek 83). Tübingen 1973, S. 377 im Namenregister.

31 Dazu ausführlich Joachim Heinzle: Mißerfolg oder Vulgata? Zur Behandlung der *C-Version in der Überlieferung des ‚Nibelungenlieds‘, in: Blütezeit. Festschrift für L. Peter Johnson zum 70. Geburtstag, hg. von Mark Chinka, Joachim Heinzle und Christopher Young, Tübingen 2000, S. 207-220.

32 Vgl. zur Hagen-Gestalt im Kontext der oral poetry Edward R. Haymes: Das Nibelungenlied. Geschichte und Interpretation (UTB 2070), München 1999, S. 99-115. Die von Haymes beschworene heroische Tradition muss man durchaus nicht auf germanische Helden beschränken, wenn man etwa davon ausgeht, dass die fränkische Stammessage auch einen (über seinen Vater) rex Francorum Syagrius integrieren konnte. Jedenfalls werden so die von Haymes durchaus gewürdigten ausführlichen Hinweise der ‚Thidrekssaga‘ auf Hagens merkwürdiges Aussehen nicht nur mythologisch, sondern auch ethnisch interpretierbar.

33 Ausführlich dazu Gerd Backenköhler: Untersuchungen zur Gestalt Hagens von Tronje in den mittelalterlichen Nibelungendichtungen. Diss. masch., Bonn 1961, S. 36-51.

34 Vgl. Thidriks Saga af Bern, hg. von Hendrik Bertelsen, Kopenhagen 1905, S. 343.

35 Vgl. hier grundlegend und insbesondere zur Hagen-Gestalt Joachim Heinzle: Zweimal Hagen oder: Rezeption als Sinnunterstellung, in: Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Joachim Heinzle und Anneliese Waldschmidt (Suhrkamp Taschenbuch 2110), Frankfurt am Main 1991, S. 21-40, hier S. 31.

36 Vgl. zum fränkischen Ursprung des Nibelungenstoffs Andreas Heusler: Nibelungensage und Nibelungenlied. Die Stoffgeschichte des deutschen Heldenepos. Fünfte Ausgabe, Dortmund 1955, passim.

37 „Bildungen auf Hag- sind auch im Norden bezeugt; in der ostgermanischen Überlieferung lassen sie sich nicht von Ag- scheiden. Dazu treten erweiterte Formen in dt. Hagnger (St. Gallen) […]. Wfrk. Chagnerich ist für das Jahr 693 bezeugt […] der Grabstein von Gaillardon erweist Chagnoaldus schon für die Zeit um 500“; Gottfried Schramm: Namenschatz und Dichtersprache. Studien zu den zweigliedrigen Personennamen der Germanen (Ergänzungshefte zur Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen 15), Göttingen 1957, S. 154.

38 Vgl. die Strophen 1752-1754 nach B.

39 Zur komplexen Hunnen- und Germanenpolitik des Aetius sowie zu den Aetius betreffenden Kabalen am römischen Kaiserhof (in West und Ost) vgl. Timo Stickler: Die Hunnen, München 2007, S. 45-114.

40 Zur Integrationsleistung der Heldensage grundlegend Joachim Heinzle: Wandlungen und Neuansätze im 13. Jahrhundert (1220/30-1280/90). 2., durchgesehene Auflage (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit II/2), Tübingen 1994, S. 53: „Historische Gestalten zusammenzubringen, die in Wirklichkeit zu verschiedenen Zeiten lebten (Hermanerich – Attila – Theoderich), ist ein Verfahren, das man auch sonst beobachten kann, wo Geschichte in heroische Erzählung umgeformt wird: es führt dazu, daß ursprünglich eigenständige Stoffkreise zu einer geschlossenen Heldenwelt integriert werden, die man einem besonderen Zeitalter zuordnet, eben dem Heldenzeitalter“.

41 Zitiert nach Walter Haug: Montage und Individualität im Nibelungenlied, in: Nibelungenlied und Nibelungenklage. Neue Wege der Forschung, hg. von Christoph Fasbender, Darmstadt 2005, S. 13-29, hier S. 23-24.

42 Vgl. zu den Anfängen der Artus-Figur den Überblick bei Volker Mertens: Der deutsche Artusroman (Universal-Bibliothek 17609), Stuttgart 1998, S. 9-24.

43 Die Identität der Hagen-Gestalt in Nibelungenlied und ‚Kudrun‘-Epos ist grundsätzlich nicht zwingend, vgl. Kudrun. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Uta Störmer Caysa (Universal-Bibliothek 18639), Stuttgart 2010, S. 578. – Noch dezidierter Werner Hoffmann: Kudrun, in: Interpretationen. Mittelhochdeutsche Romane und Heldenepen, hg. von Horst Brunner (Universal-Bibliothek 8914). Stuttgart 1993, S. 293-310, hier S. 298: „Die Jugendgeschichte Hagens ist sicherlich die Erfindung des Kudrun-Dichters, d. h. des Mannes, dem die gedankliche Konzeption der Gesamtdichtung und ihre narrative Gestaltung zuzuschreiben sind.“ – Freilich ist damit noch nichts über den Erkenntnisstand des mittelalterlichen Publikums bezüglich der verschiedenen Hagen-Figuren gesagt.

44 Vgl. hier besonders den intertextuellen Ansatz bei Gunda Lange: Nibelungische Intertextualität. Generationenbeziehungen und genealogische Strukturen in der Heldenepik des Spätmittelalters (Trends in Medieval Philology 17), Berlin/New York 2009, S. 240-242.

45 Zur Gattungsproblematik beim Nibelungenlied vgl. etwa Otfried Ehrismann: Nibelungenlied. Epoche – Werk – Wirkung. München 1987, S. 224-228.

46 Vgl. Joachim Heinzle (Hg.): Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert (Suhrkamp Taschenbuch 2110), Frankfurt am Main 1991.

47 Vgl. das Vorwort (1946) von Veit Valentins ‚Geschichte der Deutschen‘ (New York 1946, hier zitiert nach dem Wiederabdruck Köln 1991, S. 14): „Die Geschichte des deutschen Volkes beginnt nicht mit den Cimbern und Teutonen und auch nicht mit Hermannn, dem Cherusker. Es ist Zeit, mit den alten Legenden aufzuräumen. Das deutsche Volk, wie es heute besteht, ist ein verhältnismäßig spätes Erzeugnis der Mischung verschiedenster ethnischer Bestandteile, wobei das germanische Element nur eines von verschiedenen gleichwertigen Elementen gewesen ist.“ – Vgl. auch Wolfgang Haubrichs: Baiern, Romanen und andere. Sprachen, Namen, Gruppen südlich der Donau und in den östlichen Alpen während des frühen Mittelalters, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 69 (2006), S. 395-465. – Vgl. zur Ethnogenese auch Hubert Fehr: Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschehen (Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsbände 68), Berlin/New York 2010.

48 Vgl. zu den Namensgebungen die einschlägige Studie von Wilhelm Störmer: Nibelungentradition als Hausüberlieferung in frühmittelalterlichen Adelsfamilien? Beobachtungen zu Nibelungennamen im 8./9. Jahrhundert vornehmlich in Bayern, in: Nibelungenlied und Klage. Sage und Geschichte, Struktur und Gattung, hg. von Fritz Peter Knapp, Heidelberg 1987, S. 1-20.

49 Vgl. zum Nibelungenlied der Gossembrots jetzt den neuesten Forschungsstand und die Gesamtedition bei Michaela Eser: Augsburger Nibelungenlied und -klage. Edition und Untersuchung der Nibelungen-Handschrift b (Editio Bavarica II), Regensburg 2015, passim und S. 464 (Textzitat).