"Worms
und die Nibelungen"

Auszug aus dem Programmheft
zur Nibelungen-Festspielwoche
in Worms 1938:

von Dr. Kurt Pfeiffer

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Als der Reichsstatthalter in Hessen, Gauleiter Jakob Sprenger, im Jahre 1937 dem Hessischen Landestheater in Darmstadt den Auftrag erteilte, die Nibelungensage in Form der Hebbelschen Trilogie zu gestalten, knüpfte er an die alte Überlieferung der Nibelungenstadt Worms an, die von je danach gestrebt hatte, das deutsche Epos, dessen Schauplatz die Wormser Landschaft ist, an der Stätte des geschichtlichen Geschehens aufzuführen. Worms, Schauplatz der größten Dichtung aus der Frühzeit Europas, der Dichtung, die erstmals Kunde gab von germanischer Größe und germanischem Heldentum, von germanischer Gefolgstreue und männlichem Rittertum, hatte den Ehrgeiz, diese Dichtung auf der Bühne ihres Spiel- und Festhauses gestaltet zu sehen. Wormser Land ist Nibelungenland, und die Geschichte des germanischen Volkes der Burgunden, die von Bornholm auf langer Wanderung in den rheinhessischen Gau kamen, um hier ein Reich zu gründen, dessen Mittelpunkt der Königssitz in Worms war, ist von der Geschichte der Domstadt am Rhein nicht zu trennen. Das Land zwischen den sagenumwobenen Wäldern des Odenwalds und den weinfröhlichen Dörfern und Städten der Pfalz ist Nibelungenland. Hier, wo die ältesten Siedlungen Europas standen, wo Worms vor 5000 Jahren den Traum träumte, Hauptstadt des Reiches zu werden, erinnert noch vieles an das Volk der Burgunden und an ihr Königtum, das in einem tragischen Schicksal ein jähes Ende fand. Ob wir zum Utekloster im alten Lorsch wandern; ob wir in der Volkerstadt Alzey weilen oder in den grünen Bergen der Haardt den Brunholdis- und Kriemhildenstein aufsuchen, ob wir im Odenwald mit dem würzigen Duft seiner Täler der Siegfriedsquelle nachspüren, ob wir in den Rosengärten am Rhein pilgern oder in den Jagdgründen der weiten Ebene des Rieds ausschreiten, überall begegnet uns Nibelungenerinnerung. Überall klingt etwas nach vom Zauber der alten Heldensage, die aus dem Dombezirk der Stadt Worms hinauswanderte in die Welt, von deutschen Tugenden kündend und von der Landschaft des rheinischen Gaues. So fest ist die Wormser Landschaft in den Einzelgesängen des Nibelungenliedes verwurzelt, daß wir den Ergebnissen der neueren Forschung getrost Glauben schenken dürfen und den Dichter des Nibelungenepos als Sohn des rheinhessischen Gaues, vielleicht sogar der Stadt Worms ansehen. Denn sonst hätte er nicht über die Kenntnis dieser Landschaft verfügen können; sonst wäre niemals das Nibelungenlied zugleich zum Lied des rheinhessischen Gaues geworden. In Worms vollendete die Geschichte das Schicksal der Nibelungen. Aus der Wormser Landschaft formte das Epos von der Nibelungen Not seinen geschichtlichen Hintergrund. Aus dem Wormser Land ging der Dichter hervor, der der Burgunden Aufstieg und Ende besang. Wie war es anders möglich, als daß Worms auch die Stätte der Festspiele werden mußte, wo im Lichte der Rampe die Sage zu neuem Leben erweckt wurde? 1906 wurde erstmalig der Versuch gemacht, die Verpflichtung gegenüber der Geschichte einzulösen. Die damalige Aufführung der Hebbelschen Trilogie war das erste Bekenntnis zum Festspielgedanken, der seitdem nie einschlief. Erst dem Dritten Reich blieb es vorbehalten, den Gedanken für immer in die Wirklichkeit umzusetzen und Worms die Festspiele zu geben, die aus seiner Landschaft und aus seiner Geschichte wuchsen. Das war der Sinn der Worte, die der Reichsstatthalter in Hessen, Gauleiter Jakob Sprenger, am 5. November 1933 in Worms sprach, als er den Neubau des vom kommunistischen Mob zerstörten Wormser Spiel- und Festhauses als Sinnbild dafür hinstellte, daß das Dritte Reich den schöpferischen Kräften des Volkes wieder Lebensmöglichkeiten gebe und daß daraus die Verpflichtung erwachse, diese Kunststätten so zu erhalten, daß ihnen eine ehrenvolle Stätte im neuen Reich gesichert sei.

Im Jahre 1937 wurde die Idee zur Tat. Worms wurde die Ehre zuteil, Schlußstein der am 13. Juni 1937 begonnenen 4. Reichstheaterfestwoche zu sein. In Anwesenheit des Schirmherrn des deutschen Theaterwesens, des Reichsministers Dr. Goebbels, und des Reichsstatthalters in Hessen und Gauleiters Jakob Sprenger ging am 20. Juni vor zahlreichen führenden Persönlichkeiten von Stadt, Partei, Wehrmacht, Kunst und Theater die Hebbelsche Nibelungen-Trilogie in Szene. Der Gedanke, diese Festspiele zu einer dauernden Einrichtung zu machen, wurde allseitig begrüßt. So erleben wir dieses Jahr im Rahmen einer Nibelungen-Festspielwoche eine Wiederholung der Aufführung. Die Stätte der Aufführung, das jetzt 50jährige Spiel- und Festhaus der Stadt Worms, 1889 von Friedrich von Schön erbaut, liegt in nächster Nähe der geschichtlichen Stätte. Dort, wo jetzt noch die Türme des Domes den Fremden grüßen, stand einst auch die Königsburg der Nibelungen. Heute wuchert Gras über die Reste der alten Burg, und über den versunkenen Grundmauern wiegen sich die Wipfel altehrwürdiger Bäume. Wenn jetzt wieder die Hebbelschen „Nibelungen“ über die Bretter gehen an der Stätte, an der einst das älteste deutsche Königtum seinen Sitz hatte, dann wird das Theater wieder zu seinem ursprünglichsten Sinn zurückgeführt, Feierstätte des Volkes zu sein. Hier siegt wieder die Idee deutschen Volkstums. Auch wenn der Spielleiter vom Gesetz des Theaters her die Szene zum Menschlichen hin auflockern muß, wird die Aufführung nie den starken ideenmäßigen Gehalt der Trilogie verleugnen können. Für uns ist das Drama Hebbels das Drama der Zeitwende, in der das im Boden der Heimat verwurzelte Heidentum der Germanen mit dem aufstrebenden Christentum rang. Und Hagen ist uns nicht der absolute Bösewicht, zu dem unsere Schulweisheit den Tronjer stempelte, sondern die reinste Verkörperung germanischer Gefolgschaftstreue. Sein Kampf gegen Kriemhild ist ein Kampf um die Ehre seines Herrn. Und seine Auseinandersetzung mit Dietrich von Bern ist ein Ansturm des naturverbundenen germanischen Heidentums gegen das im Jenseits verankerte Christentum. So greift das Festspiel von den Nibelungen Probleme unserer Zeit auf. So wird für uns die dramatische Ballade Hebbels zum weltgeschichtlichen Drama, aufgezeichnet auf dem Untergrunde rheinhessischer Landschaft und lebensnah gestaltet durch die Wucht des Wortes und der geballten Gebärde. Der Mythos der Sage verblaßt, und herauf steigt das Drama deutscher Geschichte, dessen handelnde Personen Menschen mit Fleisch und Blut sind.