Der Drachenkampf
in der Nibelungensage

von Eichfelder

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Sigurd-Darstellung, Stabkirche von Hylestad, 12. Jh. ..



Der Drachenkampf ist eines der zentralen Themen, um nicht sogar zu sagen das zentrale Thema der Nibelungensage. Das Nibelungenlied selbst aber erwähnt den Drachen lediglich zwei Mal im ganzen Epos und doch ist der Drache das erste, was man mit Siegfried und den Nibelungen in Verbindung bringen würde.

Die Erklärung ist einfach: Das Nibelungenlied baut inhaltlich auf einen älteren Erzählkern, den der Dichter beim Publikum als bekannt voraussetzt und deshalb nur stichpunktartig erwähnt. Die Motivation hierfür mag zum einen darin liegen, dass der Autor eine zeitgemäßere Version der Sage formulieren wollte, zum anderen aber sicherlich in der Unvereinbarkeit des alten heidnischen Sagenstoffes mit der in Zentraleuropa erstarkten christlichen Lehre.

Diese seiner Zeit weitaus bekanntere Sage wurde so in ein höfisch-christliches Gewand gekleidet. Heidnische und unverstandene Passagen hat der Dichter soweit es ihm möglich war eliminiert, umgedeutet oder zumindest stark verkürzt. Besonders auffällig geschieht dies u.a. beim Drachenkampf.

In der dritten Aventüre des Nibelungenliedes („Wie Siegfried nach Worms kam“) berichtet Hagen dem König Gunther von den Taten des jungen Helden, vom Erwerb des Nibelungenhortes und sehr knapp von dem Kampf des Helden mit dem Drachen:

„Noch eine Mär weiß ich, die ist mir wohl bekannt:

Einen Linddrachen erschlug des Helden Hand

dann badet er in dem Blute. So ward dem Recken wert

die Haut von solcher Härte, dass keine Waffe sie versehrt“

Die zweite Szene, in der das Nibelungenlied den Drachen erwähnt finden wir bei Krimhilds unbeabsichtigten Verrat an Siegfried, als sie nämlich Hagen gegenüber die Stelle bezeichnet, wo sich unserem Helden beim Bad im Drachenblut ein Lindenblatt auf den Rücken heftete – diese Stelle war verwundbar und Hagens Wissen davon tödlich für Siegfried.

Die Geschichte von diesem Lindenblatt ist allerdings nur im Nibelungenlied so beschrieben, das Seyfriedslied kennt auch die verwundbare Stelle des Helden, dort aber nahm er kein Bad im Drachenblut, sondern schmierte sich dasselbe auf die Haut, nur auf seinem Rücken übersah er eine Stelle.

In den meisten anderen Geschichten aber geht es bei dem Drachenblut überhaupt nicht darum, dass man davon unverwundbar wird, diese Eigenschaft ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine sehr junge Zutat und lässt sich nach gängiger Meinung auf frühmittelalterliche Hornpanzerungen zurückführen.

Um dem eigentlichen Geheimnis des Drachenblutes - ja um überhaupt dem Ursprung dieser Geschichte des Drachentöters - näher zu kommen, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf den nordeuropäischen Sagenkreis wenden. Hiermit sind in erster Linie die Edda und die, der Edda sehr verwandte, Völsungensaga gemeint; aber auch die Geschichte um Dietrich von Bern (die Thidreksaga) kommt hier in Betracht.

Um 1000 n. Chr. werden in Skandinavien Lieder gedichtet, die uns die Nibelungensage in ihrer ursprünglichsten Form wiedergibt. Bei diesen – recht heidnischen – Liedern geht es in erster Linie um Sigurds Jugend bei dem Schmied, den Kampf mit dem Drachen und schließlich um die Erweckung der zauberhaft schönen Walküre Brynhild. Diese Gesänge werden erst 250 Jahre später, allerdings in altwestnordischer Sprache niedergeschrieben, einer Sprache, die eindeutig auf das hohe Alter dieser Lieder verweist.

Überliefert sind sie uns in der isländischen Edda, es ist eher ein Sammelwerk, als ein Epos. Der erste Teil dieses Werks berichtet uns von dem nordischen Götterhimmel, von den Geschichten um Odin, Thor usw. Der zweite Teil widmet sich ausschließlich dem Nibelungenthema.

Bevor ich auf eventuell vorhandene mythische Hintergründe eingehe, möchte ich ihnen aus dem eddischen Lied vom Drachenhort – und somit aus dem in unserem Zusammenhang ältesten Textfragment zitieren, fasse mich kurz:

Die Geschichte beginnt damit, dass Odin in Begleitung von zwei weiteren Göttern auf der Jagd unwissentlich den Sohn eines mächtigen Mannes töteten (ich versuche ihnen möglichst allzu viele Namen zu ersparen). Es geschah deshalb versehentlich, weil dieser Sohn die Gestalt eines Otters angenommen hatte.

Der mächtige Vater nun verlangte von den Göttern als Lösegeld, dass sie den Otter von innen ganz mit Gold füllen und auch von außen umhüllen. Keine leichte Aufgabe für Odin und seine Weggefährten, aber sie lösten sie dennoch mit Hilfe eines Goldraubes. Das Gold nahmen sie von Andvari, der den gegebenen Hort und insbesondere den Ring Andvaranaut verflucht. Der Ring, der uns später wieder als der Nibelungen Ring begegnet, war der eigentliche Schatz, denn dieser konnte sich aus eigener Kraft selbst vervielfältigen.

Als die Götter nun ihre Strafe bezahlt haben bemerkt der „mächtige Mann“ noch ein unbedecktes Barthaar und Odin bedeckte auch dieses mit dem Ring, den er eigentlich behalten wollte. Wieder wird das Gold verflucht.

Die Söhne des mächtigen Mannes, ihre Namen sind Regin und Fafnir, verlangen einen Teil des Goldes, nachdem sich der Vater weigert, wird er von Fafnir im Schlaf durchbohrt. Fafnir nahm nun alles Gold, zog sich zurück, verwandelte sich in einen Lindwurm und legte sich auf den Hort.

So kam also der Lindwurm zu seinem Gold, diese Geschichte könnte aber durchaus nordische Zutat sein, der folgende zweite Teil stammt ursprünglich aus Deutschland, denn dort – genaugenommen am Rhein - wird er auch lokalisiert; und dies ist auch die eigentliche Geschichte vom Drachenkampf.

Sigurd (also der eddische Siegfried) kam als Kind zu Regin, dem Schmied und wuchs bei ihm (am Rhein!) auf. (Regin, um es noch einmal in Erinnerung zu bringen ist der Bruder Fafnirs, der sich in einen Lindwurm verwandelte). Als Sigurd herangewachsen war, erzählte ihm Regin, dass sein Bruder Fafnir in Wurmgestalt einen Hort behütet. Er schmiedete ein Schwert und reizte Sigurd, den Lindwurm zu erschlagen.

Nachdem Sigurd die Tat vollbracht hatte, kam Regin aus seinem Versteck und ging zu seinem wurmgestaltigen Bruder, er schnitt ihm das Herz aus und trank das Blut aus der Wunde. Dann sprach Regin:

„Sitz nun, Sigurd - Ich such mir ein Lager -,

Halt ans Feuer das Fafnirherz!

Munden mag ich mir den Muskel lassen,

Nach dem Trunk vom Totenblut.“

Sigurd nahm Fafnirs Herz und briet es an einem Zweig. Als er glaubte, dass es gar sei, und der Saft aus dem Herzen schäumte, da fasste er es mit einem Finger an, um zu versuchen, ob es fertig sei. Unser Held verbrannte sich dabei und fuhr mit seinem Finger in den Mund. Als Fafnirs Herzblut ihm auf die Zunge kam, da geschah das Wunderbare und er verstand die Sprache der Vögel, die ihn vor Regin warnten. Sigurd schlug Regin daraufhin den Kopf ab und nahm den Hort an sich.

Der Drache ist hier streng genommen kein eigentlicher Drache mit Flügeln, sondern, wie auch im Nibelungenlied ein auf der Erde kriechender Lindwurm. Aber er war nicht immer ein gräulicher Wurm, denn eigentlich war er ein Mensch und erst, nachdem er seinen Vater aus Goldgier erschlagen hatte verwandelte sich Fafnir in dieses schreckliche Wesen.

Diese Passage wird von der Völsungensaga (im 13. Jh.) ganz ähnlich beschrieben.

Auch in der norwegischen Thidreksaga wird, ohne auf die näheren Umstände einzugehen, der Drache als ein verwandelter Mann dargestellt: „Der war stark, aber bösartig ... dass er ein Drache wurde“.

Eine – allerdings erst im Spätmittelalter verschriftlichte deutsche Sagenversion des Drachenkampfes finden wir im „Lied des hürnen Seyfrid“ es wird auch „Seyfridslied“ genannt. In seinen Grundzügen besitzt diese Geschichte die gleiche Erzählstruktur, wie das eddische Lied vom Drachenhort; dennoch liegen zwischen den beiden Liedern gut 500 Jahre und etwa 3.000 km.

Der Drache dieser Version der Nibelungensage jedenfalls hat das Fliegen schon erlernt, es ist nicht mehr der Lindwurm der nordischen Überlieferung, aber dennoch handelt es sich auch hier um einen verwandelten Mann, der sich sogar zu bestimmter Zeit wieder zurück verwandeln kann; In der 22. Aventüre des Seyfridsliedes heißt es: „an eynem ostertage ward der trach zu eynem man“

Sie sehen, dass es sich hierbei immer um den Kampf zweier Männer handelt, von denen einer Drachengestalt angenommen hat. Dies gilt natürlich nicht unbedingt für alle Drachenkämpfe der Weltgeschichte, wohl aber zwingend für den Bereich der Nibelungenmythologie.

Aus dem nordischen Raum kennen wir unzählige Darstellungen dieser Sagaversion auf Kirchenportalen, Grabstelen und Felsritzungen. Das zentrale und sich immer wiederholende Motiv hierbei ist nicht unbedingt der Drachenkampf selbst, sondern insbesondere auch die Passage, in der Sigurd mit dem Drachenblut in Kontakt kommt. Die sakrale Verwendung lässt uns unschwer erkennen, dass es sich hier nicht um Darstellungen der Heldensage, sondern in erster Linie um religiöse Motive handelt.

Das in der Edda beschriebene Drachenblut hat dabei nicht, wie etwa im deutschen Sagenkreis, die Eigenschaft bei äußerlicher Anwendung unverwundbar zu machen. Das Verstehen der Vogelsprache ist in diesem Zusammenhang aber ein immer wiederkehrendes, ja sogar indioeuropäisches Motiv und darf als absolut primär bezeichnet werden. Vermutlich handelt es sich dabei um Erkenntnisse aus dem Jenseits, denn die Seelen Verstorbener dachte man sich in frühen Kulturstufen vielfach vogelgestaltig.

Wenn wir uns diese Geschichte mit dem Braten und Essen des Herzens näher betrachten, könnten wir also zu dem Schluss kommen, dass es sich hierbei um einen kannibalischen Akt handelt. Ein Mann tötet einen anderen und verspeist dessen Herz, nachdem er es über dem Feuer gebraten hat. Es gibt keine schlüssige Erklärung für dieses Motiv, es kann nur festgestellt werden, dass es sehr ernst genommen wurde und eine nicht zu unterschätzende sakrale Bedeutung hatte.

Am deutlichsten lässt sich dies mit der christlichen Symbolik der Eucharistie vergleichen, ohne dass wir hier zu dem Schluss kommen müssen, das Jesus von seinen Jüngern aufgegessen wurde, nur weil er Ihnen von seinem Blut und Fleisch gegeben hat. Er hat lediglich – und das ist bei der von uns untersuchten Sage ganz ähnlich – wesentliche Elemente seiner selbst, natürlich symbolisch in Form von Brot und Wein, an die, die ihm nachfolgen weitergegeben.

Bei der germanischen Ausgestaltung der Sage bzw. der originären keltischen Gralsmythologie im Allgemeinen ist dies allerdings weitaus rudimentärer gedacht – ich will sagen: eventuell weniger symbolhaft.

Denn aus diesen Bereichen kennen wir in der Tat Berichte über das kultische Verspeisen von Teilen des Körpers z.B. eines Führers oder eines erschlagenen Feindes, um dessen Kraft und m.E. auch seine Wesenheit sich sprichwörtlich einzuverleiben. Die uns überlieferte Geschichte des Drachenkampfes scheint zumindest eine entfernte Erinnerung an diese Art des kultischen Kannibalismus zu sein, für dessen Ursprung wir natürlich gezwungen sind, ein sehr hohes Alter anzunehmen.

Aber das ist sicherlich nicht alles, was sich hinter dieser Geschichte verbirgt, denn sie hat darüber hinaus mythische und kultische Elemente, die ungleich wichtiger sind und dafür gesorgt haben, dass wir uns nach tausend Jahren ihrer immer noch erinnern.

Ein Mythos ist – so die Definition - eine Geschichte, in der Götter oder zumindest gottähnliche Wesen die Hauptrolle spielen, und es handelt sich erst dann um einen echten Mythos, wenn diese Geschichte auch von den Menschen geglaubt und als wahr anerkannt wird.

Nun hat jeder Mythos ein zentrales Element, welches die Menschen, die daran glauben periodisch wiederholen, um sich das Göttliche zu vergegenwärtigen. Durch die rituelle Nachahmung des ursprünglichen Mythos identifiziert sich der Mensch mit dem Göttlichen und wird so zum Heros, d.h. zum „Gott einer jüngeren Generation“. Hierbei handelt es sich im eigentlichen Sinne des Wortes um einen Kult bzw. um ein kultisches Spiel.

Wenn ich noch einmal auf das Beispiel Jesus zurückgreifen darf, so finden wir diesen Kult beim letzten Abendmahl, der heiligen Eucharistie, wie sie noch heute sonntäglich in den Kirchen gefeiert wird. Bei St. Martin erkennen wir das zentrale Motiv bei dem Teilen des Mantels und bei dem heiligen Georg, um in die Nähe unseres Themas zu kommen, beim Töten des Drachens.

Es wurde schon sehr viel über den Mythos des Drachenkampfes geschrieben. Der Drache ist bereits in den ältesten Schriften der Menschheit elementarer Bestandteil von Schöpfungsgeschichten (z.B. der biblische Leviathan, oder die babylonische Tiamat, von den östlichen Kulturen ganz zu schweigen). Das Motiv beflügelt unsere Phantasie seit Anbeginn der Zeit.

Von daher ist eine allgemeingültige Interpretation dieses Phänomens nicht möglich, zumal es sich kaum auf eine gemeinsame Ursache reduzieren lässt. Bei unserer Betrachtung sind wir deshalb quasi gezwungen, uns auf den von uns untersuchten Bereich zu beschränken, ohne zwangsläufig benachbarte Kulturkreise – insbesondere die indioeuropäische Gruppe – auszuschließen.

Für den Bereich der Nibelungensage gibt es zwei verschiedene Interpretationsansätze, die sich beide nicht unbedingt gegenseitig ausschließen.

Die gängige These vergleicht den Drachenkampf mit einem Initiationsritus, d.h. einem Ritual, das „Knaben“ absolvieren, um in die Gemeinschaft der „Männer“ eines Stammes aufgenommen zu werden. Diese Annahme ist aber nur zum Teil befriedigend, denn die Überlieferung lässt immer nur eine einzelne, herausragende Persönlichkeit diesen Kampf wagen.

Deshalb wurde auch schon oft darüber nachgedacht, den Drachen als Metapher für einen Sakralkönig zu sehen und den Drachentöter als dessen Nachfolger. Der Drachenkampf selbst wäre demnach ein rituelles Tötungsspiel, bzw. ein Kampf um die königliche und sakrale Macht.

Nachdem Sigurd den Drachen getötet und dessen Herz verspeist hat, versteht er die Sprache der Vögel, diese führen den siegreichen Helden zu Brynhild, soweit berichtet uns die Edda eindeutig.

Der weitere Verlauf der Geschichte ist fragmentarisch, insbesondere bedingt durch Fehlseiten in der einzigen uns überlieferten Edda-Handschrift.

Den bruchstückhaften Inhalt des alten Sigurdliedes sowie der „Erweckung der Walküre“ können wir annähernd mit Hilfe der Völsungensaga und anderer verwandter Lieder erschließen.

Der Göttervater Odin hatte die zauberhaft schöne Walküre mit dem Schlafdorn gestochen und zu ihrem Schutz einen magischen Flammenring um ihre Schlafstätte angelegt, die sog. Waberlohe. Als Sigurd herannaht legen sich die Flammen und er kann mühelos eintreten (für jeden anderen wäre dies, ähnlich wie bei dem Prinz von Dornröschen, ein tödliches Unterfangen). Unser Held schneidet der schlafenden Brynhild mit seinem Schwert den Brustpanzer auf (nach Saxo Gramaticus wird sie geküsst) und erweckt sie somit quasi zu neuem Leben. Sie versprechen sich einander, schwören sich ewige Treue, tauschen Ring und Kelch.

Hier haben wir schon eine in sich geschlossene Erzählung vor uns liegen und es deutet auch einiges darauf hin, dass es sich hierbei auch um den ursprünglichen Kern unserer Sage handelt.

Mythologisch betrachtet haben wir es bei der „Erweckung der Walküre“ vermutlich mit einer sogenannten „Heiligen Hochzeit“ (griech. Hierós Gámos) zu tun. Die „Heilige Hochzeit“ ist eine rituelle Vereinigung zwischen dem Himmelsgott und der Erdmutter bzw. deren irdischen Vertretern.

Brunhild ist als Walküre eine unmittelbare Repräsentantin der altgermanischen Fruchtbarkeitsgöttin Freyja. Im Rahmen eines Wachstumsbrauchs wird die Hohepriesterin zur Personifikation sowohl der Göttin als auch des Landes. D.h. nach den Wintermonaten, in denen die Erde ruht, muss sie im Frühjahr rituell erweckt und neu befruchtet werden, um die Fruchtbarkeit des kommenden Jahres sicherzustellen. Durch den Sieg über den Drachen ist Sigurd für diese Aufgabe prädestiniert.

Bei den Germanen ist die „Heilige Hochzeit“ in den bronzezeitlichen Felszeichnungen bestens belegt, lässt sich aber auch in den uns erhaltenen Mythen wiederholt nachweisen. Feste dieser Art fanden in der Regel, je nach Region, zwischen April und Juni statt, vorwiegend haben wir es hier mit Maifeiern zu tun, an denen auch oft sehr große Feldfeuer brannten, die uns in diesem Zusammenhang durchaus an den Feuerring erinnern dürfen, von dem Brynhild eingeschlossen war.

In den archaisch anmutenden Fragmenten der Nibelungensage lässt sich der Vollzug dieses sakralen Beischlafs nur noch symbolkundlich erschließen. Brunhild übergibt Siegfried den mit Zauberrunen und Met gefüllten Kelch, im Gegenzug bekommt sie den Ring den Siegfried durch den Drachenkampf erworben hat.

Nach der Völsungensaga zeugen Sigurd und Brynhild sogar eine Tochter namens Aslaug, dieser Zug ist aber vermutlich nicht sagenecht.

In den deutschen Ausformungen der Nibelungensage finden wir den Drachenkampf sehr häufig durch den Zwölfkampf ersetzt, so etwa im Rosengartenlied, im Waltharius und auch z.T. im Nibelungenlied und der Thidreksaga. Dem Sieger eines 12-Kampfes gebührt der gleiche Lohn wie einem Drachentöter, nämlich der Hort, evtl. das Land und letztendlich natürlich auch die Gunst der Jungfrau, aber das im Einzelnen auseinander zunehmen würde einen eigenen Vortrag erfordern.

Viel lieber möchte ich Ihnen zum Abschluss noch eine weitere Interpretationsmöglichkeit zum Drachenkampf darlegen.

Es handelt sich hierbei um eine historisierende Interpretation, d.h. die Rückführung von Siegfrieds Drachenkampf auf ein historisches Ereignis.

Otto Höfler stellte 1961 die These auf, dass es sich bei dem Drachenkämpfer um Arminius, den Cheruskerfürsten gehandelt habe und dass der Drachenkampf letztendlich identisch wäre mit der Varusschlacht im Teuteburger Wald, in der die Römer im Jahre 9. n. Chr. eine so unglaubliche Niederlage erlitten.

Höfler liefert eine Reihe sehr überzeugender Argumente unter der Prämisse eines mythischen Modells des Drachenkampfes, in das sekundär ein historisches Geschehen transportiert wurde:

Der Name Arminius ist nicht originär, da die Sippe der Cheruskerfürsten soweit die Quellen dies bezeugen - sämtlich mit der gleichen Silbe „Segi“ beginnen, sein Vater z.B. hieß Segimerus. Arminius ist wohl nur eine lateinische Angleichung. Der Stammesname „Cherusker“ lässt sich übersetzen mit „Hirschvolk“ und verrät uns dadurch auch eine starke Hirschsympathie. Diese Verbundenheit zum Hirsch ist bei dem Siegfried der Nibelungensage Legion (auch dies wäre ein eigener Vortrag, deshalb kann ich es nur Stichpunktartig erwähnen: Sigurd wird z.B. von einer Hirschkuh gesäugt, er erweckt Brynhild auf dem Hindinsfelsen – also dem Hirschkuhfelsen, seine Frau sieht ihn im Traum als Hirsch und er wird im Rahmen einer Jagd erlegt, etc.)

Ein weiteres Argument sieht Höfler darin, dass nach Tacitus schon sehr früh, also schon im 1. Jh. n.Chr. heroische Dichtungen den Römerbesieger feierten. Arminius erlitt ebenso wie Siegfried ein tragisches Ende durch einen tückischen Anschlag aus eigener Verwandtschaft und das sind noch nicht alle Parallelen, dennoch gilt Höflers These heute als fragwürdig, vermutlich auch deshalb, weil er die Varusschlacht auf Grund seiner Theorie an einem anderen Platz suchte, als dem, an dem ihn die Archäologen mittlerweile gefunden haben. Aber dieses kleine Detail sollte nicht über die anderen guten Argumente Höflers hinwegtäuschen.

Am Ende bleibt aber das Rätsel Drachenkampf ungelöst und es ist vielleicht auch ganz gut so, denn könnten wir uns alles erklären, wären unsere Sagen und Märchen nicht mehr so geheimnisvoll und spannend. Es ist sehr wichtig, denke ich, dass unsere Phantasie noch Räume hat.