Die Nibelungenbilder
von Karl Schmoll von Eisenwerth


von Busso Diekamp

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Brunhildes Empfang, Schmoll v. Eisenwerth, 1912 ..


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Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gab es im gesamten "Aktionsraum" des Nibelungenliedes Pläne für Nibelungen-Denkmäler: Am Wormser Neumarkt klaffte eine städtebauliche Lücke, dort wo bis zur Stadtzerstörung 1689 das alte Rathaus, vormals Haus zur Münze, gestanden hatte. Hier bot sich der Anschluss an den Nachfolgebau einschließlich der Erweiterung des Münchner Historismus-Architekten Gabriel von Seidl an. Cornelius von Heyl, der 1900 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt worden war, stiftete schließlich im Einvernehmen mit der Stadt einen ganzen städtischen Festsaalbau an der Stelle des 1689 untergegangen Hauses zur Münze. Dieser Festsaalbau wurde - ganz in der Tradition fürstlicher Repräsentationsbauten - von seinem Stifter nach dem Firmengründer der Heylschen Lederwerke "Cornelianum" benannt. Die Stadt wünschte den renommierten Stuttgarter Professor Theodor Fischer als Architekten, da er als Garant erschien, das Öffentliche Gebäude in dem erwünschten "deutsch-romanischen" Stil zu errichten, wie es Fischer in einem Brief an Hildebrand im Januar 1904 ausdrückte.
Wie aus Fischers Aquarellentwürfen für den großen Festsaal hervorgeht und wie er auch in einem Brief an Swarzenski (17.11.1910) berichtet, sah er für die sechs, nur 1 Meter 70 hohen, querrechteckigen Felder unter der Kassettendecke eine dekorative Gestaltung mit Konzentration jeweils in der Mitte der Felder vor, um somit die architektonische Raumteilung optisch zu unterstreichen. Eine friesartige, horizontale Gestaltung der Felder wollte Fischer auf jeden Fall vermeiden. Als das Gebäude 1908 fertiggestellt war und der vertäfelte Festsaal 1910 feierlich eingeweiht wurde, waren die sechs Felder aber lediglich mit Tapeten beklebt, die in der Mitte Rundmedaillons zeigten.

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Hier nun betritt der Maler Karl Schmoll von Eisenwerth die Wormser Bühne: Fischer hatte - wie er in dem Brief an Swarzenski berichtet - schon mal vorsorglich - ohne Absprache mit dem Stifter bzw. der Stadt Worms - seinen Malerkollegen an der Technischen Hochschule Stuttgart Skizzen zum Nibelungenthema für die Wandbilder anfertigen lassen. Swarzenski sollte nun Überzeugungsarbeit bei dem Stifter leisten; die Finanzierung der zunächst sechs Seitenbilder durch den Baron konnte schließlich gesichert werden. Der genius loci spielte eine bestimmende Rolle bei der Themenwahl:

Selbstportrait, Karl Schmoll von Eisenwerth, 1912


Die Stadt hatte bereits 1493, nachdem sie das Haus zur Münze erworben hatte, die äußeren Wandflächen über den gotischen Arkaden von dem Maler Nicolaus Nievergalt schmücken lassen - mit Darstellungen Kaiser Friedrichs III., Siegfrieds und anderer Helden der Nibelungensage, die 1689 mit dem Gebäude zerstört worden waren.

Mit Fischer war sich der Maler einig, dass auf den sechs Seitenfeldern unter der hohen Kassettendecke, die durch ornamentale Nebenfelder auf ein akzeptables mittleres Querformat reduziert wurden, Einzelbilder mit Betonung der Mittelachse entstehen sollten. Der ungünstig niedrige Wandstreifen war nur mit kauernden, sitzenden oder liegenden Figuren wirkungsvoll zu gestalten. Die Ausführung erfolgte wegen der ungünstigen Lage unter der Saaldecke nicht in Freskotechnik, sondern auf Leinwand. Die Bilder entstanden also im Stuttgarter Atelier des Künstlers und wurden zur Einfügung in die Wandstücke auf Platten aufgezogen und dann in Worms montiert - so berichtet uns der Künstler selbst in einem Vortrag über seine Wormser Nibelungenbilder, den der am 11. Oktober 1937 im Volksbildungsverein hielt (abgedruckt in Bd. 2 des Wormsgaues). Schmoll entwarf eine Folge von stark konzentrierten Figurengruppen und wich dabei von allen älteren Illustrationen und Wandbildern zum Nibelungenlied ab. In wuchtigen Gestalten gedrückter Haltung - und gedrückter Stimmung! - war die Bilderreihe auf die sechs ausgewählten Szenen beschränkt:

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Klage um Siegfrieds Leichnam
Karl Schmoll von Eisenwerth, 1911


Siegfried fesselt den Bären
Karl Schmoll von Eisenwerth, 1911


Brünhilde und Hagen brüten Rache
Karl Schmoll von Eisenwerth, 1911


Volker und Hagen auf Schildwacht
in Etzels Hoflager
Karl Schmoll von Eisenwerth, 1911


Dietrich von Bern fesselt Hagen
Karl Schmoll von Eisenwerth, 1911


Kriemhilds Tod
Karl Schmoll von Eisenwerth, 1911

Die besonders makabre Szene "" als Abschluss des sechsteiligen Zyklus, wie sie Schmoll auf einer ersten Entwurfskizze 1910 festgehalten hat (15 : 21 cm), wurde .

...... Der Nibelungen Ende (vom Stifter verworfen)
Karl Schmoll von Eisenwerth, 1910

Von dem Ringen des Künstlers, auf dem vorgegebenen Querformat eine monumentale Wirkung der Figuren zu erzielen, zeugen die insgesamt 9 Bleistiftentwürfe, z.T. mit Aquarellfarben koloriert, die sich im Familienbesitz erhalten haben. Die sechs Szenen lagen inhaltlich und gestalterisch gleichgewichtig an den Saalseiten gegenüber: Die Klage an Siegfrieds Leichnam rechts und Kriemhilds Tod am Leichnam Hagens links; die Fesselung des Bären durch Siegfried und die Fesselung Hagens durch Dietrich von Bern; Brünhilde und Hagen auf Rache sinnend und gegenüber Hagen und Volker auf Schildwacht im Hunnenlager. Szenen, die sich auf das Geschehen in Worms und an Etzels Hof beziehen, werden also jeweils geradezu gespiegelt. Unter den Einzelbildern fanden sich die entsprechenden Zitate aus der volkstümliche Übersetzung des Nibelungenliedes von Karl Simrock (1827). Wie der bekannte Kunsthistoriker J. A. Schmoll gen. Eisenwerth in seinen Veröffentlichungen zu den Nibelungenbildern seines Onkels feststellt, knüpft diese thematische Gegenüberstellung von Bildern formal an die Typologie, die Gegenüberstellung von Szenen des Alten und Neuen Testaments, in didaktischen Bilderzyklen seit dem Mittelalter an, z.B. in der Biblia pauperum (Beispiele: Christi Geburt - Brennender Dornbusch oder Grünender Stab Aarons / Auferstehung: Samsons Ausbruch aus Gaza, Jonas entsteigt dem Rachen des Fisches). Klaus Lankheit stellt in seinem berühmten Aufsatz über die Säkularisierung christlicher Thematik in den Nibelungenbildern des 19. Jahrhunderts fest, dass Kriemhilds Klage an Siegfrieds Leichnam die Bildidee der Pietà oder Marienklage aufnimmt.
Die Wormser Bilder erweisen Schmoll als Gestalter eines kraftvollen Figurenstiles; er orientierte sich formal an der monumentalen Jugendstil-Flächenkunst des Schweizers Ferdinand Hodlers, "Aufbruch der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg" in der Aula der Universität Jena, 1908; zeitgleich mit dem Wormser Zyklus entstand Hodlers berühmtes Wandbild "Einmütigkeit" - den Reformationsschwur der Hannoveraner Bürger darstellend - im Rathaus zu Hannover; die Vorbilder für sitzende und hockende Gestalten mit ausdrucksstarker Gebärdensprache finden wir in einigen streng durchkomponierten, symbolistischen Gemälden Hodlers ( "Die Nacht" (1889), "Die enttäuschten Seelen" und "Die Lebensmüden" (1892), "Der Frühling" (1901) und die Versionen des "Tages" (1899-1903). Schmolls Figuren entwickeln, in der Art wie sich z.B. die Körper unter den schlichten, stilisierten Gewändern abzeichnen, eine Plastizität, die an die mächtigen Sitzfiguren der Propheten und Sybillen in Michelangelos Sixtinischem Deckengemälde erinnert. Dieses Vorbild hatte Schmoll intensiv studiert. Die Gebärdensprache der weitgehend endindividualisierten Gestalten kulminiert in der Gestik der Arme und Hände. Die Farbwirkung war auf die dunkle Tönung der Holzvertäfelung des Festsaales abgestimmt: Die Farbskala ist auf zwar kräftige, aber doch gedämpfte violette und grüne Töne (von Schmoll bevorzugte Komplementärfarben) und auf bräunliche Töne konzentriert. Stellenweise finden sich auch Blau, Rot und Weiß - aber nie als grelle Farben.

Dass wir die Bilder heute noch in Farbe zeigen können, beruht übrigens darauf, dass der Künstler von seinen Hauptwerken farbige Fotoplatten anfertigen ließ, die sich heute ebenfalls noch in Familienbesitz befinden. Nach Anbringung der sechs Bilder im Saale zeigte sich, wie störend das Tageslicht wirkte, das durch ein großes Zwillingsfenster über dem Bühnenpodium eindrang. Daher entschlossen sich Stifter und Künstler zur Schließung dieses Fensters und erhielten damit eine Wandfläche, auf der sich ein höherformatiges Wandbild ( 5 : 6 Meter) als Abschluss des Zyklus anbringen ließ. Auf dem Verputz wurde 1915 in Freskotechnik "Brunhildes Empfang in Worms" ausgeführt, ein Bildthema, das im Handlungsablauf genau zwischen "Brünhilde und Hagen brüten Rache" und "Volker und Hagen auf Schildwacht in Etzels Hoflager" passt und gleichzeitig an der prominentesten Stelle des Zyklus, den Lokalbezug hervorhebt. Auch formal lässt dieses Bild seine vermittelnde Position zwischen den Bildern der beiden Seiten erkennen. Während dort kompositorisch die Mitte betont wird, stehen sich hier vor einer leeren Bildmitte mit Hagen im Hintergrund die Figurengruppen Kriemhild und Siegfried - links - und Gunther, der seine künftige Gattin Brunhilde seiner Schwester Kriemhild zuführt, -rechts - gleichwertig gegenüber.

Ein Jahr nach Fertigstellung des Wormser Zyklus wurde Schmoll zur
Gestaltung einer Soldatenzeitung an der nördlichen Ostfront dienstverpflichtet. Für die Zeitung der 10. Armee setzte er die Wormser Nibelungen-Entwurfszeichnungen in Illustrationen um. Was sicher nicht in der Intention des Wormser Zyklus gelegen hatte, hier wurde es Wirklichkeit: die bildnerische Verwertung des Nibelungenliedes als Nationalmythos, als Sinnbild germanischer Wehrhaftigkeit. Der Kunsthistoriker und Schmolls Stuttgarter Professorenkollege Heinrich Weizsäcker, ein Großonkel 2. Grades unseres ehem. Bundespräsidenten, schrieb in einer kleinen Monographie über den Wormser Nibelungenzyklus, erschienen als Privatdruck in einem hübschen dekorativen Einband im Nov. 1915: "Geplant in einer Periode friedlichen Vorwärtsdringens auf allen Gebieten der kulturellen Arbeit, war es ihr (Schmolls Wormser Schöpfung) beschieden, in einer Zeit zum Abschluß zu gelangen, in der sich unter Kämpfen eine neue Epoche in der Geschichte unseres Volkes anbahnt. Den kommenden Tagen, die sich verheißungsvoll vor unseren Blicken öffnen, stellt sie gegenüber, was Kraft und Tiefsinn deutscher Poesie von deutschen Heldentum aus ältester Vorzeit überliefert haben." Als dies geschrieben wurde, glaubte die Deutschen also noch an ihren Sieg - in "Nibelungentreue" an der Seite der Habsburgermonarchie. Es gab noch keine "Siegfriedstellung" oder eine letzte "Hagen-Offensive" an der Westfront; auch die Dolchstoßlegende war noch nicht geboren.


(
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