Die
historischen Nibelungen

Eine Serie der Wormser Zeitung
von Dr. Jürgen Breuer

1.
Worms als Schauplatz des
Nibelungenliedes um 1200

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Bligger von Steinach, Codex Manesse, um 1330 ...



Als um das Jahr 1200 das Nibelungenlied niedergeschrieben wurde, befand sich die Stadt Worms in ihrer Bedeutung für das Kaiserreich der Staufer auf dem Höhepunkt. Städtebauliches Kennzeichen für diese Entwicklung zu einer der europäischen Hauptstädte war unter anderem der Neubau des Wormser Domes, der 1181 im Beisein des Kaisers Friedrich Barbarossa geweiht werden konnte. Er und nach seinem Tod auf dem Kreuzzug 1190 der Sohn Heinrich VI. (1190 bis 1197) haben in Worms ihre Hauptstadt nördlich der Alpen gesehen und ihre häufigsten Aufenthalte, Hoftage und Reichstage, hier innerhalb der Stadtmauern durchgeführt. Mit der Entfaltung des Wormser Königshofes entwickelte sich im Wormser Raum schon früh, vor allem aber dann unter Kaiser Heinrich VI., ein vielfältiger Kulturbetrieb: Der Sekretär, der enge Vertraute und Botschafter Barbarossas, Friedrich von Hausen, ist bekannt als Minnesänger bzw. politischer Spruchdichter, ebenso Bligger II. von Steinach, der häufig in der Hofgesellschaft Heinrichs VI. zu finden ist. Heinrich selbst wird in der Manesse, der bebilderten Liederhandschrift (entstanden um 1300), als Dichter angeführt.

Daher verwundert es nicht, dass der Dichter des Nibelungenliedes die politischen Verhältnisse im Reich würdigte und Worms zum zentralen Schauplatz der Handlung machte. War doch die Gattin des Kaisers Friedrich Barbarossa Beatrix die Erbin Burgunds, die schon in ihrer Heimat die Förderung der Literatur betrieben hatte. Dass die Wormser Helden deshalb Burgonden genannt werden und Worms im Lied die Hauptstadt von Burgund ist, entspricht der Idee des Dichters, seiner Herrin und seinen Herren, die nunmehr tatsächlich Könige von Burgund waren, die Referenz zu erweisen.

Weshalb aber erzählt er von den Nibelungen? Im Lied sind die Nibelungen ein Königsgeschlecht, denen Siegfried Schatz, Schwert und Tarnkappe raubt, indem er die jungen Könige Nibelung und Schilbung erschlägt. Der Nibelungenschatz, Kriemhilds Morgengabe, bringt Unglück, sein Besitzer Siegfried wird ermordet, der Mörder Hagen versenkt den Schatz im Rhein, er führt das Nibelungenschwert Balmung, bis er mit jenem Schwert von Kriemhild auf Etzels Burg hingerichtet wird. Ausgehend vom Schlussvers des Epos daz ist der Nibelunge liet (Handschrift C) bzw. daz ist der Nibelunge nôt (Handschrift A und B) hat man erst im 19. Jahrhundert das Werk "Nibelungenlied" genannt.

Die Frage nach den historischen Nibelungen richtete vor allem im 19. Jahrhundert den Blick nach Norden, weg von der Stadt Worms. Mit verantwortlich für die Einbeziehung von Edda und Dietrichsage, die wesentlich später niedergeschrieben wurden, ist das Werk "Der Ring des Nibelungen" von Richard Wagner (1848 - 1874), dessen geniale dichterische und musikalische Konzeption bis zum heutigen Tag in den Köpfen des deutschen und französischen Bildungsbürgertums steckt, obwohl sie mit dem Nibelungenlied ganz wenig zu tun hat. Jüngstes Zeugnis für eine solche werkferne Darstellungsweise liefert die virtuelle Ausgestaltung des Nibelungenmuseums mit dem Ring in der Schatzkammer und den Wagnerklängen.

Dabei hat es die Nibelungen für den Dichter des Nibelungenliedes tatsächlich gegeben, und zwar am Wormser Hof, an dem die Recken und ihre Herrinnen zur Zeit von Kaiser Barbarossa und seiner Söhne sich zusammengefunden haben. Schatzmeister, lateinisch thesaurarius, am Wormser Dom war ein Adeliger namens Nibelung, dessen Familie im 12. und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zur Führungsschicht im Wormser Raum gehörte. Ihre Herkunft verweist auf eine bedeutende Adelsdynastie, die sich bis in die Zeit Karls des Großen und in den Raum Burgund zurückverfolgen lässt. Es scheint fast, als sei das große Nationalepos dieser Familie gewidmet.



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Veröffentlichungen:

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Mit spaeher rede: Politische Geschichte im Nibelungenlied.
München (Fink-Verlag) 1995. 2.Aufl. 1996

Hans-Jürgen Breuer: Die politische Orientierung von Ministerialität und Niederadel des Wormser Raumes im Mittelalter
(Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 111)
Darmstadt und Marburg 1997.

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Das Nibelungenlied, die Reichsgeschichte und der Hof Kaiser Heinrichs VI. in Worms.
In: Nibelungenlied und Klage, Ursprung - Funktion - Bedeutung
Symposium Kloster Andechs 1995, München 1998, S. 245 - 263.

Jürgen Breuer: Bligger II. von Steinach, der Dichter des Nibelungenliedes.
Horb a. Neckar 1999.

Jürgen Breuer: Das historische Umfeld des Nibelungenlieds in Worms.
In: Ein Lied von gestern? Wormser Symposium zur Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes
Worms 1999, S. 15 - 36.

Jürgen Breuer: Die Burgunden und ihr Wormser Hof im Nibelungenlied.
In: Die Nibelungen in Burgund, Symposium 2000
Worms 2001, S. 25 - 49.