Exkursion
nach Alzey

am Samstag, den 14. September 2002;
ein Vortrag von Dr. Ellen Bender


Alzey/Kastell Alteium

Für den vicus Alzey, eine kleinstädtische Mittelpunktsiedlung, ist bereits prähistorische Besiedelung nachweisbar. Wie man aus Funden schließen kann, gab es zur Zeit der römischen Okkupation um 50 vor Christus an dieser Stelle einen kleinen keltischen Ort, dessen Bewohner den Treverern zugerechnet werden.
Alzeys Lage am Oberlauf der Selz ist günstig. Alzey lag damit an der Verbindungsstraße von Bingen/Bingium über Bad Kreuznach/Cruciniacum nach Osten, nach Worms/Borbetomagus an den Rhein; und es hatte außerdem eine gute Verbindung zur nur etwa 49 km nördlich gelegenen Provinzhauptstadt Mainz/Mogontiacum.

Aus einer Inschrift auf einem Nymphenaltar vom 22. November 223 nach Christus erfahren wir den Namen des Ortes: Geweiht haben den Stein die vicani Altiaienses, also Kleinstädter, Bewohner eines römischen vicus. Der Name des vicus muss also vicus Altiaiensium oder vicus Altiaiensis gelautet haben. Der römische vicus ist mit einer Kleinstadt oder einem Kreisstädtchen vergleichbar. Hier gab es Märkte, öffentliche Badeanlagen, eine Verwaltungsstelle, einen größeren Kultbezirk und Dienstleistungen aller Art. Inschriftlich ist aus Alzey der Beruf eines fullo, eines Tuchwalkers bezeugt. Reste von Wasserleitungen zeigen, dass die höher liegenden Quellen zur Frischwasserversorgung der Stadt herangezogen wurden.

Im Jahr 352 nach Christus ging die etwa 300jährige Existenz der römischen Zivilsiedlung „Altiaium“ zu Ende. Während der Germanen-, insbesondere Alemanneneinfälle diese Jahres wurde der vicus zerstört und niedergebrannt.

In den Jahren zwischen 367 und 370 nach Christus ließ Kaiser Valentinian I. im Zuge von Grenzsicherungsmaßnahmen über einen Teil des wüst liegenden vicus ein spätromanisches Kastell errichten. Es liegt im Südwestareal des zerstörten vicus und südöstlich des späteren mittelalterlichen Stadtkerns. Kaiser Valentinian I. (364-375) hielt sich dort zweimal auf, in den Jahren 370 und 373. Er erließ von Alzey aus Verfügungen, aus denen wir auch den damaligen Namen des Kastells erfahren: Alteium. Der Ortsname ist uns im Codex Theodosinaus, einer spätantiken Gesetzessammlung Kaiser Valentinians überliefert.

Das etwa quadratische Kastell von 163,5 x 159 m besaß 3 m dicke und 12 m hohe Wehrmauern und 14 halbrunde Türme, als Verstärkung in die Mauer eingebunden. Die beiden Tore lagen im Osten und im Westen. Langgestreckte, in einzelne Kammern unterteilte Anbauten befanden sich an den drei Kastellinnenseiten (im Norden sind sie auch zu vermuten); diejenigen an der Westmauer sind im Gelände noch sichtbar. Es sind recht typische spätrömische Kasernen- und Vorratsgebäude, die durch ihre Lage innen an der Mauer weitgehend vor Beschuss geschützt waren. Die mehrstöckigen Kasernengebäude waren im Windschatten der Mauer errichtet, der Innenhof war unbebaut. Diese für die Kastellbauten des Orients und Afrikas typische Bauform ist in Verbindung mit der militärischen Funktion des Alzeyer Kastells zu sehen. Hier waren mobile Eingreiftruppen stationiert, so dass das Kastell auch mit einer nur geringen Restbesatzung gut verteidigt werden konnte.
Als weitere Schutzvorrichtung war dem Kastell in 11-12 m Entfernung ein 7-8 m breiter Spitzgraben vorgelagert.
In der Nordostecke des Kastells hat man in den Fundamenten eines wohl aus dem frühen 4. Jahrhundert stammenden Baues zahlreiche religiöse Skulpturen und Inschriften des 1. bis 3. Jahrhunderts nach Christus entdeckt. Es dürfte sich bereits um einen christlichen Sakralbau gehandelt haben. An derselben Stelle errichtete man die Kommandantur des Kastells

Das Kastell Alteium hielt sich nur wenige Jahrzehnte (1. Phase). Man weiß nicht ganz genau, wann es zerstört wurde. Die valentinianische Rheinverteidigung hielt bis in das Jahr 406. Um 400 waren jedoch die römischen Eliteeinheiten wie die in Alzey vom Rhein abgezogen worden, und zwar unter Kaiser Honorius wegen der Verlegung der Residenz von Trier nach Arles. Dadurch wurde den Germanen (Vandalen, Alanen) das Vordringen über den Rhein nach Westen erleichtert.

Ab 406/407 waren im Kastell erneut Truppen stationiert, nun jedoch ostgermanische Föderaten der Römer. Vielleicht Bugunder, die die römische Kultur übernahmen? Aus den zeitgenössischen historischen Quellen wissen wir, dass im frühen 5. Jahrhundert Burgunder am Rhein als Verbündete Roms angesiedelt worden sind. Es ist einfach verlockend, als zweite Mannschaft in Alzey Burgunder anzunehmen. Dies zeigen die neuesten Ergebnisse der Grabungen des Mainzer Vor- und Frühgeschichtlers Prof. Oldenstein. Nach Professor Oldenstein sind die Burgunder Träger einer 2. Phase in der Geschichte des römischen Kastells. Diese zweite Kastellperiode unterscheidet sich baulich deutlich von der ersten:

Spuren von Fachwerkeinbauten befinden sich innerhalb des Kastells. Die Gebäude sind willkürlich über den bis dahin unbebauten Innenhof verstreut, die Dacheindeckung besteht aus organischem Material, Stroh- oder Holzschindel; ja, die ganze Bauausführung weist nicht mehr den Standard römischer Truppenhandwerker auf. Die Kommandantur wurde erweitert und in ein dreischiffiges, basilikaartiges Gebäude umgebaut; der v-förmige Spitzgraben wurde in einen 8 m breiten Sohlgraben umgearbeitet.

Nach Prof. Oldenstein könnte man sich den Burgunden Volker von Alzey (NL 9,4) als römischen Kommandanten des Kastells vorstellen (?).
Auch diese 2. Kastellperiode wurde durch einen Brand beendet.
Um 436 ging nämlich in dieser Gegend die Herrschaft des Burgundenkönigs Gundicharius oder Gundahar (Gunther) zu Ende, jener Burgunden, die sich nach 406 im Gebiet um Worms als Alliierte (foederati) des spätrömischen Reiches niedergelassen hatten. In der Chronica Gallica lesen wir, dass ein König Gundahar mit 20.000 Mann nach Gallien zum Plündern eingefallen war, und dort vom römischen Reichsfeldherrn Aetius mit Hilfe hunnischer Hilfstruppenregimenter vernichtend geschlagen wurde.

Wohl aufgrund einer gewissen Unzuverlässigkeit in römischen Augen hatte Aetius die Burgunder 437 durch seine hunnischen Hilfstruppen prügeln lassen. Im übrigen schwankt das Jahr der burgundischen Niederlage bei den modernen Historikern zwischen 436 und 437.

Erst 6 Jahre später nennt die gallische Chronik wieder Ereignisse, die die Burgunder betreffen. Die Reste des Stammes wurden nämlich durch Aetius vom Rhein an den Genfer See, in die Sapaudia (dem heutigen Savoyen) umgesiedelt. In die Zeit der Umsiedelung fiel das Ende der 2. Kastellperiode von Alzey. Nach Einnahme des Kastells wurde dieses in seiner Verteidigungsfähigkeit lahmgelegt. Die Brunnen wurden 14 m hoch mit Bauschutt verfüllt, der Graben zugeschüttet und die Fachwerkhäuser abgebrannt. Eine Münze im Schutt des Grabens zeigt, dass diese Vorgänge frühestens 425 nach Christus stattgefunden haben können. Das Entfernen der Burgunder als unzuverlässige Verbündete aus der Rheinzone war wohl ein längerer, äußerst zäher Prozess, der erst 443 zu Ende ging.

Nach dem Abzug der Burgunder in Richtung Rhône und Genfer See gab es noch eine 3. Phase in der Geschichte des Kastells. Noch einmal bezogen für eine kurze Zeit Truppen - das „letzte Aufgebot Roms“ zur Verteidigung der Rheingrenze – das Alzeyer Kastell. Die Besatzer waren wahrscheinlich Alemannen. Alemannische Elemente sind greifbar, wie eine Fibel des Typs Miltenberg, aber von römischem Fundmaterial durchsetzt. Nach dem derzeitigen Forschungsstand wird man davon ausgehen können, dass germanische Föderaten, die immer noch aus römischen Quellen versorgt wurden, die letzte römische Wacht am Rhein gebildet haben. Ihre Spuren aus der Zeit knapp vor der Mitte des 5. Jahrhunderts lassen sich von denen der burgundischen Phase unterscheiden. Nachdem die Fachwerkbauten der 2. Phase abgebrannt waren, errichtete man vor der alten Kaserne lange Fachwerkbauten, die mit Ziegeln gedeckt waren. Sie erinnern in ihrer Lage zueinander an römische Kasernenbauten der mittleren Kaiserzeit. In die Ruinen der alten Steinkaserne wurde eine ziegelgedeckte Fabrica eingebaut, in welcher Altglas und Altmetall eingeschmolzen und wiederverwendet wurden. Innerhalb der Kastellkommandantur wurde eine einfache Saalkirche eingebaut, die die Grundlage für die bis um 1800 bestehende St. Georgskirche darstellte. Bis ins 15. Jahrhundert war die Georgskirche wohl die Pfarrkirche von Alzey. Man kann noch heute den „Kirchweg“ von der Siedlung her erkennen (Vgl. Georg Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sonderausgabe für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 14 ff.)

Der zugefüllte Kastellgraben wurde wieder ausgehoben, und das Osttor wurde zugemauert. Aufgrund von Fundmaterialien, die sich in Fußböden der dritten Periode eingetreten hatten, kann man sagen, dass der Beginn der 3. Kastellperiode knapp vor der Jahrhundertmitte stattgefunden hatte. Eine eingehende Analyse der Keramik zeigt, dass das Kastell Alzey im 3. Viertel des 5. Jahrhunderts endgültig aufgegeben wurde.

Nach dem Verschwinden der Burgunder und dem Ende der Römerherrschaft am Rhein Mitte des 5. Jahrhunderts (Aetius wurde 454 ermordet) blieb nur noch die Wehrmauer des valentinianischen Kastells als Architektur erhalten. Teile davon standen selbst im Jahre 1620 noch aufrecht. Die Ruine des Kastells muss für die Silhouette der Stadt im 17. Jahrhundert noch von derartiger Bedeutung gewesen sein, dass sie Kupferstecher um 1620 als Vignette auf ihrem Werk darstellten.

Das mittelalterliche Alzey entwickelte sich nicht wie Boppard an der Stelle des spätantiken Römerkastells.
Die Franken hatten sich nämlich weiter unten in der Niederung zur Selz hin angesiedelt. Sie beherrschten den weiträumigen römischen Wassertransport nicht und gründeten ihre Höfe in der Nähe des Wasserlaufs, weil sie dort für Landwirtschaft und speziell Viehzucht mehr Wasser hatten, als die Örtlichkeit des aus Sicherheitsgründen höher angelegten Kastells bot. Das mittelalterliche Alzey war also offensichtlich in eine bäuerliche Existenzform zurückgefallen.




Zur späteren Geschichte von Alzey

Im 6. Jahrhundert errichteten die Franken am heutigen Obermarkt einen königlichen Salhof und bauten im Bereich des heutigen Roßmarktes.

897 erste urkundliche Erwähnung von Alzey.

In der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts Erbauung einer Burg, die 1156 zusammen mit dem Ort an Pfalzgraf Konrad von Hohenstaufen überging und pfalzgräfliche Residenz wurde.

1214 verlegte der wittelsbacher Pfalzgraf diese nach Heidelberg.

1277 Verleihung der Stadtrechte durch König Rudolf von Habsburg.

14.-16. Jahrhundert Blütezeit der Stadt: Stadterweiterung nach Norden, Bau der neuen Pfarrkiche St. Nikolaus, Umwandlung der Burg in ein Renaissanceschloss.

1689 fast vollständige Einäscherung von Stadt und Schloss durch die Franzosen, was belegt, dass die Barbaren nicht immer aus dem Osten kommen...